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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Haus und ist montags und mittwochs um sechs, dienstags und donnerstags um acht und freitags um neun zu Hause, es sei denn, sie kommt am Abend gar nicht nach Hause.«
    »Freitags ist der Freund dran, was?«
    Die kleine Mittsiebzigerin lächelte mich mit perlgrauen Zähnen an. Sie trug klassische Hippie-Mode, ein uraltes, türkis-malvenfarbenes Flanellkleid, das von den Schultern bis zu den Knöcheln reichte.
    »Sie bleibt lange aus, wenn sie gerade keinen Freund hat«, erklärte Isabella mir. »Hat sie einen, ist sie auch dann auf die Minute pünktlich.«
    »Inwiefern?«, fragte ich.
    »Kann ich Ihnen ein Glas Eiswasser anbieten, Mr. Dolan? Ich habe nur Leitungswasser und Eiswürfel. Wenn Sie zu den Leuten gehören, die ihr Wasser aus einer Plastikflasche brauchen, kann ich Ihnen nicht helfen.«
     
    »Wo war ich?«, fragte sie, als wir an dem kleinen dreieckigen Tisch Platz genommen hatten, der einen guten Teil ihrer Liliputanerküche einnahm.
    »Sie sagten, dass Ihre Nachbarin in Bezug auf Männer einen bestimmten Rhythmus hat.«
    Durch das Fenster, in dessen Nähe wir hockten, blickte man auf die höhlenartigen Hinterhöfe zwischen der 12 th und der 13 th Street. Es gab Feuertreppen und winzige sonnenverhungerte Gärten, Wäscheleinen, die sich von Gebäude zu Gebäude spannten, und Fetzen namenloser Gegenstände, die zu lange draußen gelassen worden waren.
    Angeliques Haus war eines der kleinsten Gebäude inmitten seiner großen Brüder, der riesigen Wohnblocks aus Backstein.
    »Wenn sie einen neuen Jungen kennen lernt, kann man sie im ersten Monat jeden Freitagabend von zehn bis ungefähr zwei hören«, sagte Ms. Katinski. »Danach quietschen die Federn ein paar Monate lang von zehn bis Mitternacht. Dann hört man etwa einen Monat lang nur Schritte. Danach geht der Freund seiner Wege, und sie bleibt wieder manchmal die ganze Nacht weg.«
    »Eine ganz Wilde, was?«, fragte ich.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Dolan«, erklärte Ms. Katinski. »Sie ist ein sehr nettes Mädchen. Wenn ich Ärger wegen dem Lärm von unten hatte, hat sie sich immer für mich darum gekümmert.«
     
    »Sie hat sich über meine Musik beschwert, obwohl zwischen ihrer und meiner noch Mrs. Katinskis Wohnung liegt«, erklärte Seth Martindale mir, als ich das rostigeWasser aus seinen jahrzehntealten Heizkörpern abließ. »Sie hat gesagt, die alte Dame sei schwerhörig oder so.«
    »Ich komme gerade aus Ms. Katinskis Wohnung«, sagte ich. »Mich hat sie offenbar ganz gut gehört.«
    »Sehen Sie?«, sagte der gut sechzigjährige Versicherungssachverständige im Ruhestand. »Ihretwegen hätte ich die Wohnung fast räumen müssen. Dabei wohne ich schon achtunddreißig Jahre hier, länger, als sie auf der Welt ist.«
    »Sie hätten ihretwegen fast die Wohnung räumen müssen? Wie denn das?«
    »Ein City-Marshal kam mit den Dokumenten vorbei. Ich wusste nicht mal, dass wir einen City-Marshal haben, doch da stand er, komplett in Uniform. Hat gesagt, ich hätte den erlaubten Dezibellevel überschritten, und wenn es noch eine Beschwerde gäbe, würde die Stadt eine Zwangsräumung einleiten.«
     
    »Sie ist ein Geschenk des Himmels«, erklärte mir Nyla Winetraub aus dem zweiten Stock.
    Nyla war in Isabellas Alter, jedoch ein wenig klappriger. Ihr Augenlicht war beinahe völlig erloschen, und sie hielt sich lieber in der Nähe von Wänden auf, an denen sie sich abstützen konnte, wenn sie zu stürzen drohte. Sie trug dunkle Kleidung und ließ nur eine einzige Lampe im Wohnzimmer brennen. Ich wusste nicht, ob sie Strom sparen wollte oder ob elektrisches Licht einfach nicht mehr viel zur Erhellung ihrer Welt beitrug.
    »Sie hilft mir, Formulare auszufüllen und Briefe zu beantworten«, sagte Nyla. Sie war eine dunkelhäutige Weiße mit einer enormen alterslosen Ausdruckskraft ineinem schmalen Gesicht. »Sie schreibt Schecks für mich aus und hat sogar einen Anrufbeantworter installiert, damit ich weiß, wer anruft. Es gibt ja so viele Telefonvertreter heutzutage, wissen Sie.«
    Sie hielt inne und legte den Kopf zur Seite, als würde sie einem weit entfernten leisen Murmeln lauschen.
    »Sie sind nicht wirklich von Con Ed, oder, Mr. Dolan?«, fragte sie.
    »Nein, Ma’am.«
    Ich war nicht überrascht, dass es die blinde Frau war, die meine Verkleidung durchschaute. Ich würde wetten, dass Miss Winetraub beinahe so aufmerksam war wie meine neue Empfangssekretärin.
    »Warum sind Sie hier?«, fragte die alte Frau.
    »Ich bin überrascht, dass Sie

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