Falscher Ort, falsche Zeit
verlorenen Seelen drängte, sich darauf vorzubereiten, diese Käfige, das Gebäude und wenn nötig die ganze Stadt niederzureißen.
Ich fragte mich, ob Jake Plumb irgendwas von dem spürte, was ich empfand.
»Hier entlang, Mr. Privatdetektiv«, sagte er.
Wir hatten eine massive Stahltür erreicht, die mit einem Taster zur Fingerabdrucküberprüfung gesichert war. Ich stellte mir unwillkürlich vor, wie die Männer, an denen wir gerade vorbeigekommen waren, Plumbs Hand abhackten, um sie, noch warm, dazu zu benutzen, dieses Schloss in ihrem Drang nach Freiheit – oder Rache – zu knacken.
Sein fensterloses Büro war klein und ordentlicher, als ich erwartet hatte. Auch wenn wir uns im siebten Stock befanden, fühlte es sich an wie ein Luftschutzkeller in einer Ruhephase zwischen zwei Bombenangriffen.
Plumbs Gesicht war flach wie das einer Bulldogge, doch die Augen waren, was ihre Größe und ihren Glanz betraf, eher die eines Chihuahuas. Sein Lächeln erinnerte an ein Stirnrunzeln.
»Und«, sagte er.
Wir saßen uns in seinem gruftartigen Arbeitszimmer gegenüber.
Auf diese vieldeutige Eröffnung einer informellen Befragung reagierte ich nicht.
»Was wollen Sie bei Mr. Sharkey?«, fragte Plumb.
»Sein Anwalt ist von seiner Unschuld überzeugt und glaubt nicht, dass sein Fall als Bundesangelegenheit behandelt werden sollte. Der Wagen gehörte ihm nicht, er hat keine Staatsgrenze überquert, er hatte die Schlüssel zum Kofferraum nicht bei sich, und es gibt keinen Beweis, dass er je etwas mit illegalen Waffenverkäufen zu tun hatte.«
Plumbs glänzende Augen leuchteten auf.
»Terrorismus«, sagte er.
»Kommen Sie, Agent Plumb. Sie haben Ron eben selbst einen Junkie genannt.«
»Ron?«
»Ich entwickle gern eine persönliche Beziehung zu den Leuten, denen ich helfe. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Ron etwas mit Terroristen oder Terrorismus zu tun hat. Sie sind ein größerer Terrorist, als er es je sein könnte.«
Der letzte Satz rutschte mir einfach so heraus.
»Was?«, fragte er. Es war definitiv eine Drohung.
»Was haben Sie denn da draußen, Mann?«, fragte ich. »Haitianer und Dominikaner, Marokkaner, Syrer und Palästinenser? Wenn sie Glück haben, schicken Sie sie nach Hause. Wenn sie Pech haben, schicken Sie sie in fünf Jahren nach Hause. Es spielt keine Rolle, was sie getan haben, aber was immer es war, sie werden mich hassen, wenn sie hier rauskommen, weil ich Bürger eines Landes bin, das sie wie Dreck behandelt hat. Ron Sharkey hat bloß eine kleine Spritztour unternommen. Sie hingegen haben Ihre Faust im Arsch jedes Mannes, der hier durchkommt.«
Ich konnte nicht glauben, was ich da sagte. Das waren garantiert die Worte meines Vaters. Ich war mir nicht mal sicher, dass ich selbst daran glaubte.
Zu meiner Überraschung lächelte Jake Plumb.
»Für einen Privatdetektiv sind Sie aber ziemlich empfindlich, was, Leonid?«
»Schlechter Tag«, sagte ich und brachte ein trockenes Grinsen zustande.
»Der Mandant Ihres Anwalts hatte im Kofferraum seines Wagens sechs halbautomatische Waffen, die zu automatischen Waffen umgebaut worden waren«, erklärte der Bundesbeamte. »Wir glauben, dass er etwas darüber weiß. Wir sind uns sogar sicher. Er ist mir egal, und Sie auch. Ich will bloß einen Namen. Denn damit kann ich aus diesem Drecksloch rauskommen und in einem richtigen Büro einen Job machen, auf den ich stolz sein kann.«
Hinter diesen wenigen Sätzen verbarg sich ein ganzes Kapitel, Geschichten über Jake Plumb, von denen ich nie erfahren würde. Aber das war egal. Er bot mir eine Chance, und ich war entschlossen, sie zu ergreifen.
»Ich bin hier, um für Rons Freilassung zu sorgen«, sagte ich. »Ich werde alles geben, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn das bedeutet, dass ich einen Namen für Sie besorge, werde ich tun, was immer in meiner Macht liegt.«
Die Bulldogge verzog die Lippen zu einem Lächeln, das mich daran zweifeln ließ, dass er in seinem Leben auch nur einen einzigen glücklichen Tag gesehen hatte.
36
Das kleine Besucherzimmer war von sechs nackten Hundert-Watt-Birnen erleuchtet, trotzdem hing Dunkelheit in den Ecken. Möbliert war es mit einem kurzen Holztisch und je einem Metallstuhl auf jeder Seite. Einen dieser Stühle besetzte ich seit nunmehr achteinhalb Minuten, als zwei Bundesmarshalls einen zappeligen Ron Sharkey hereinführten.
Sharkey trug dieselbe Kleidung wie bei unserer letzten Begegnung und war an Händen und Füßen gefesselt. Die Hand- und
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