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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Fleming draußen vorbeigehen sehen.«
    »Wer ist Joe Fleming?«
    »Er ist eine Art Privatbank in dem Viertel.«
    »Handelt er mit Waffen?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Weiß er, dass Sie Schulden hatten?«
    »Ich schulde immer irgendwem irgendwas. Joe hat schon vor einem Jahr aufgehört, mir noch was zu leihen … kurz nachdem er mir den Arm gebrochen hat.«
    Ich dachte darüber nach, was Ron mir erzählt hatte. Es war eine verrückte Geschichte. Meiner Erfahrung nach sind verrückte Geschichten zu oft wahr.
    »Wann kann ich Irma sehen?«, fragte er.
    »Bald.«
    »Wie bald?«
    »Sobald ich einen Weg gefunden habe, Sie hier rauszuholen, ohne dass Sie vorher umgebracht werden.«
    Ich konnte Rons abgerissenen Atem hören – und riechen.
    »Wie lange halten Sie noch durch?«
    »Ich bin okay.«
    »Wann brauchen Sie den nächsten Zug aus der Pfeife?«
    »Ich bin runter vom Crack, Mann«, sagte Ron Sharkey.
    »Bullshit.«
    »Nein, ich bin vor ungefähr sieben Monaten auf H umgestiegen. Damit bin ich vom Speed runter, und dann hab ich angefangen, das H zu reduzieren. Jetzt nippe ich nur noch ab und zu mal dran. Ich halte drei Tage durch, fast ohne zu schwitzen.«
    Die besten und die schlimmsten Lügen sind die, die wir uns selber erzählen , hatte mein Vater mir erklärt, drei Tage bevor er für immer verschwand.
    »Halten Sie durch, Ron«, sagte ich. »In weniger als achtundvierzig Stunden bin ich zurück.«
    »Was sollte denn der Scheiß?«, fragte Jake Plumb mich vor dem Besucherraum.
    »Was?«
    »Sie sollten da drinnen nicht mit ihm schmusen.«
    »Ich mag keine Mikrofone.«
    »Ach ja? Was halten Sie denn von Zellen? Ich könnte Sie sofort in eine stecken«, sagte der Bulle. »Ich könnte Sie in einen Raum sperren, in dem nicht mal ein Gnomwie Sie aufrecht stehen kann. Ich hab ein Dutzend Richter auf Kurzwahl, die den Haftbefehl unterschreiben würden, ohne mit der Wimper zu zucken.«
    Es war alles wahr. Die Regierung, gegen die mein Vater angewettert hatte, hatte diese Macht, und sie hatte ihre Werkzeuge seit fast einem Jahrhundert geschärft und gespitzt. Ich war nichts als ein Halm gegen die Sense von Plumbs Justiz.
    »Dann entscheiden Sie sich«, sagte ich und schickte ein kleines stummes Gebet zu dem Nicht-Gott im Pantheon meines Vaters. »Denn ich hab noch was vor – oder eben nicht.«

37
    Agent Plumb brauchte nicht länger als eine Minute, um zu entscheiden, mich gehen zu lassen, doch sie kam mir vor wie Stunden. Es war nicht Mut, sondern Sturheit, die mich davon abhielt, auf die Knie zu fallen und ihn anzuflehen, mich nicht einzusperren.
    Als ich wieder im Wartezimmer dieses Lagerhauses für Menschen war, zitterte ich. Plumb und Galsworthy führten das, was Werber vielleicht ein »Instant-Gefängnis« nennen würden. Jederzeit konnte praktisch jeder Amerikaner (ausgenommen Filmstars, öffentlich bekannte Milliardäre und amtierende Mitglieder des Kongresses) in dieses namenlose Gebäude gebracht werden, einer Zwischenstation auf dem Weg in eines der Satelliten-Sibirien unserer Regierung, wo er festgehalten wurde, bis irgendetwas beim Waterboarding schieflief oder das Achselzucken eines Richters ihn wieder nach Hause schickte.
    Ich ging direkt zum Ausgang und blieb dann stehen.
    Die Gelegenheit, sein Leben für die gute Sache zu riskieren, kommt für den modernen Menschen einem Segen am nächsten . Die Worte meines Vaters hatten keine politische Bedeutung für mich, aber ihre Wahrheit überstrahlte den Inhalt.
    »Verzeihen Sie, Ma’am«, sagte ich zu der Araberin, die immer noch zusammengesunken auf ihrem Stuhl saß.
    Sie sah zu mir auf, sagte jedoch nichts. Ihre Kinder –ein älteres Mädchen und zwei Jungen im Kleinkindalter – starrten mich ebenfalls an.
    »Ihr Mann ist ins Federal Detention Center in Miami verlegt worden. Wahrscheinlich wäre es gut, dort anzurufen.«
     
    Auf der Straße ging ich das Gespräch mit Ron noch einmal durch. Das mache ich immer – ich rufe mir die Worte und Gesten einer Befragung in Erinnerung. Meistens entdecke ich etwas, das ich währenddessen übersehen habe; oft hat es nichts mit der Information zu tun, nach der ich eigentlich suche.
    In diesem Moment fiel mir wieder ein, dass ich die Naivität von Verbrechern in eine mathematische Gleichung gefasst hatte, was mich an das berühmte x , die Unbekannte, erinnerte.
    Im Fall von Angie Lear war der unbekannte Faktor der schwarze Mann ohne Etiketten in der Kleidung. Als intellektuelles Konzept funktionierte die Analogie,

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