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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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war der einzige Beweis, den ich je gebraucht hatte, dass ein Mensch an gebrochenem Herzen sterben konnte.
    Damit begann meine lange, unbehagliche Beziehung zu diversen Behörden der Stadt New York – einschließlich des NYPD . Ich riss immer wieder von meinen Pflegefamilien aus, geriet in Schlägereien, erledigte hin und wieder kleine Jobs für Gangster und landete in diversen Jugendeinrichtungen. Meine Pflegeeltern waren keine schlechten Menschen. Ich glaube, viele von ihnen waren ehrlich um mein Wohl besorgt. Aber mein Vater hatte mich und meinen jüngeren Bruder Nikita von Kindesbeinen an zu Revolutionären erzogen. Ich hasste Tolstoy, aber gleichzeitig war er auch mein Held, und so hatte ich wenig gemein mit den kleinbürgerlichen Kirchgängern, die versuchten, mir den rechten Weg zu weisen.
    Eines Tages stolperte ich dann in Gordo’s Gym. Erwar damals erst Anfang vierzig, sah jedoch schon alt und zerknittert aus. Er streifte mir ein Paar Boxhandschuhe über und stellte mich mit einem älteren und routinierteren Jungen in den Ring. Die Runde ging an meinen Gegner, doch ich hörte nicht auf anzugreifen, und so wurde Gordo für sieben Jahre mein Trainer.
    Wenn ich ihm besser zugehört hätte, wenn ich mich von seiner Hand hätte führen lassen, hätte ich meine häusliche Erziehung zum Revolutionär vielleicht nicht umgedeutet und kleine Jobs für den Mob erledigt. Aber ich konnte nicht auf seinem Trimmrad sitzen bleiben – weil es keine Straße und nicht einmal einen Pfad gab, der zu meiner Bestimmung führte.
     
    Er lag zusammen mit drei anderen Männern in einem nach Südwesten weisenden Eckzimmer im achten Stock des St. Vincent Hospitals. In seinem großen verstellbaren Bett wirkte er noch kleiner als sonst. Seine Augen waren geschlossen, als ich mir einen Stuhl an sein Bett zog.
    Gordos braune Haut war rötlich getönt, weil ihm jahrzehntelang das Blut in den Kopf geschossen war, wenn er seine Jungs anfeuerte, mehr zu geben. Es war die Farbe der Wut, er war der Mann in deiner Ecke, bei Sieg oder Niederlage.
    »Leonid«, flüsterte er.
    »G.«
    Er reckte seine knochigen Schultern und richtete sich auf.
    »Was guckst du so trübselig, Junge?«, fragte er. »Ich bin derjenige, der angezählt ist.«
    Ich lachte und hatte ein schlechtes Gewissen, dass mein kranker Freund mich tröstete.
    »Warum bist du hier, Mann?«
    »Erst war es eine Magenschleimhautentzündung, dann war es ein Magengeschwür, dann ein blutendes Magengeschwür, und jetzt sagen sie, ich hab Krebs. Und das glaub ich sofort, denn es tut verdammt weh.«
    »Magenkrebs?«
    »Volltreffer, Junge.«
    »Wollen sie operieren?«
    »Nicht sofort. Sie wollen es bestrahlen und dann vergiften und erst, wenn wir beide dann immer noch leben, vielleicht den Mann mit dem Messer rufen.«
    »Das ist ja beschissen.«
    »Ein Körpertreffer, wie du ihn noch nie erlebt hast.« Gordos trockenes Lächeln wurde bitter.
    »Was brauchst du?«
    »Wie heißt doch gleich dieser Anwalt, den du hast?«
    »Breland Lewis.«
    »Ich möchte, dass du ihm sagst, er soll ein paar Papiere für mich fertig machen.«
    »Was für Papiere?«
    »Augustine.«
    »Dein Neffe?«
    »Er ist ein guter Junge, aber er hat nicht mehr Verstand als eine Termite. Ich will ihm das Studio überlassen, mehr habe ich nicht, aber er würde es in einer Woche vermasseln. Irgendein idiotisches Darlehen aufnehmen oder vielleicht das ganze Gebäude verkaufen und das Geld an seine nichtsnutzigen Kinder und seine geldgierige vierte Frau verschwenden.«
    »Dir gehört das Gebäude?«
    »Hätte ein anderer Vermieter ein verschwitztes altes Sportstudio, das keinen Penny einbringt, so lange bleiben lassen?«
    Ich war verblüfft. Es war ein verfallenes altes Gebäude, aber es stand in der West 34 th Street, keine drei Blocks von Penn Station entfernt. Es musste Millionen wert sein, selbst bei der momentanen Flaute auf dem Immobilienmarkt.
    »Und was willst du von Breland?«
    »Ich will, dass er irgendwas ausknobelt, dass ich dir den Laden überlasse und du dich dafür um Augustine kümmerst. Du kriegst ein bisschen was und gibst ihm den Rest in Raten oder so.«
    »Warum vertraust du mir, G ? Ich hab alles andere als eine saubere Weste.«
    »Scheiße. Meinst du, das wüsste ich nicht? Wenn ich einen Besseren finden könnte, würdest du jetzt nicht hier sitzen, Mann. Aber weißt du, Junge, selbst wenn die Dinger, die du drehst, krummer sind als diese gewundenen Bambuspflanzen, wenden auch die sich am Ende zur Sonne,

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