Falscher Ort, falsche Zeit
einer heiseren Stimme, die beinahe sexy klang. »Ich bin’s.«
Ein weiterer interessanter Aspekt an dem entehrten Exbullen war, dass Frauen ihn liebten. Man sollte meinen, ein derart verkommener Tunichtgut würde jede moderne Frau verschrecken. Aber sie umschwärmten ihn und ließen sich von ihm überreden, schockierende Dinge auf Schreibtischen, Parkbänken und in ihren eigenen Ehebetten zu tun.
Er fragte nach dem Foto und verabredete sich für später in der Woche. Sie sprachen über ein Problem mit irgendjemandem, ihrem Ehemann oder Freund, als das Faxgerät ansprang.
»Es kommt gerade an, Baby«, sagte er. »Ich ruf dich in zehn Minuten zurück.«
Ich stand auf, ging zum Faxgerät und riss das Bild des Mannes ab, den ich tot auf Wanda Soas Fußboden hatte liegen sehen.
Ich griff in meine Tasche und zog die zweite Rate heraus.
Als ich mich umdrehte, zielte Randy mit einer Neun-Millimeter-Pistole auf meine Stirn.
»Ich könnte dich gleich hier an Ort und Stelle umbringen, Leonid McGill.«
Ich ließ das Geldbündel auf seinen Schreibtisch fallen.
»Aber das tust du nicht«, sagte ich.
»Warum nicht?«
»Weil du ein fauler Sack bist. Weil ich fünfundachtzig Kilo wiege, und selbst wenn du einen Schalldämpfer hättest, müsstest du entweder die Leiche entsorgen oder das Ganze den Bullen erklären. In jedem Fall würdest du deine Vorabendzeichentrickserien verpassen.«
Randy suchte in meinen Augen nach Furcht, fand jedoch keine. Ich hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, mich um meine Sterblichkeit zu sorgen. Der erste harte Treffer, den ich im Ring abbekommen habe, hat mich von dieser Angst geheilt.
Außerdem wusste ich, dass mich eines Tages sowieso irgendjemand erschießen würde. Warum also nicht Randy Peel in Brooklyn Heights?
Peel stieß ein falsches Lachen aus und ließ die Waffe sinken.
»Ich wollte dich schon immer mal zucken sehen, LT «, sagte er mit einem leeren Grinsen. »Aber ich schätze, du bist genauso tough, wie alle sagen.«
38
Es war eine lange Fahrt, aber ich musste ja nur die Linie 4 von Borrough Hall nehmen und bis zur Station 149 th Street in der Bronx sitzen bleiben. Und unterwegs hatte ich Zeit zum Nachdenken …
Eineinhalb Blocks vom schäbigsten Teil des Grand Concourse entfernt stand ein vierstöckiges Gebäude. Jedwede Farbe war verwittert, die meisten Etagen unbewohnt. Hin und wieder nisteten sich Obdachlose in einem der Räume ein, doch ein Typ namens Johnny Nightly spürte sie relativ bald auf, verpasste ihnen eine Tracht Prügel und bot ihnen dann zwanzig Dollar, wenn sie ihm versprachen, nicht wiederzukommen.
Das taten sie nie.
Der Keller des verfallenen Gebäudes beherbergte eine überaus moderne, inoffizielle Billard-Halle, deren Pächter und Geschäftsführer mein Kamerad Luke Nye war. Er war der Mann, den ich sehen wollte.
Ich folgte einem beleuchteten Weg um das Gebäude herum bis zu einem grasgrün gestrichenen, gusseisernen Gittertor. Es gab keine Klingel und keinen Messingtürklopfer. Man musste sich nur vor das Tor stellen. Nach einer Minute ertönte entweder ein Summer oder eben nicht.
An diesem Abend summte es.
Ich stieß das Tor auf, trat durch die verwitterte Tür und stieg eine feuchte Holztreppe hinab in die Dunkelheit. Als ich unten ankam, öffnete sich die Tür vor mir zu einer Welt aus gelbem Licht und grünem Filz.
Johnny Nightly hielt mir die Tür auf.
Johnny war groß, schlank, schwärzer als die Dunkelheit, aus der ich gekommen war, und Gerüchten zufolge in der Lage, ohne weitere Fragen oder Anzeichen von Reue zu töten.
»Guten Tag, Mr. McGill«, sagte er. Er war ein sehr höflicher Mann, angenehm im Umgang und, wenn es sein musste, ein unterhaltsamer Gesellschafter.
»Hey, Johnny. Wie läuft’s?«
»Alles schön friedlich«, sagte er mit dem Nimbus scheinbar unerschütterlicher Ruhe.
» LT !«, rief Luke vom dritten in einer Reihe von drei Billardtischen. »Komm hier rüber.«
Der Raum, der sich über die gesamte Länge des Gebäudes erstreckte, war bis auf den Gauner und seinen Leibwächter leer. Die Decke war hoch genug für drei große, dunkelblaue Kristallkronleuchter. Ihre Form folgte einer abstrakten Symmetrie, und sie wirkten wie Spinnennetze mit blauen Tautropfen. Die Wände waren leuchtend grün und glänzten wie lackiertes Metall.
Luke war mittelgroß und hatte ein Gesicht, das an das einer Wasserschlange erinnerte. Seine Augen waren Schlitze, und seine Nase war so breit, dass sie kaum aus seinem Gesicht
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