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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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meinte.
    Ich lächelte. Twill war eher schmächtig, hinterließ jedoch den Fußabdruck eines Tyrannosaurus rex .
    »Sie wollen es mir nicht sagen?«
    Sie antwortete nicht.
    Ihr grünes Kleid war aus reiner Seide, ihre cremefarbene Jacke hätte Merinowolle sein können. Tatjana trug keine Strümpfe und bequeme dunkelbraune Schuhe, praktisch und zum Spazierengehen gedacht – oder zum Rennen.
    Sie war das richtige Mädchen in einem langen Leben voller falscher Tage; die Art Frau, die einen wünschen lässt, dass alles irgendwie anders wäre.
    Twill hatte recht. Tatjanas Absichten gegenüber meinem Sohn waren bedeutungslos verglichen mit dem, was er von ihr lernen würde.
    »Wie viele Mädchen hat Gustav?«
    »Nie mehr als zwanzig. Manchmal auch nur zwölf.«
    »Wo hat er sie untergebracht?«
    »Sie arbeiten in einem Gebäude im East Village, wohnen jedoch über der Billard-Halle«, sagte sie. »Im vierten und fünften Stock. Gustav genießt Schutz. Es gibt einen Polizisten, der regelmäßig kommt.«
    »Wie heißt er?«
    »Saul Thinnes. Er ist Captain.«
    Das offene Gespräch mit dieser Russin gefiel mir. Es kam mir so rar vor wie eine schlichte Wahrheit in einem Werbespot, ein Vertrag ohne Kleingedrucktes oder Ehrlichkeit in der Politik.
    Ich nickte. Sie begriff, dass ich einen Plan hatte. Sie war auch klug genug, mich nicht zu fragen, wie der aussah.
    »Was erwarten Sie von mir?«, fragte sie.
    Ich schüttelte leicht den Kopf. Sie runzelte die Stirn, was mich an Hush erinnerte.
    »Es ist für Dimitri«, erklärte ich.
    »Wollen Sie irgendwas für ihn?«
    »Nein.«
    Wieder musterte sie mein Gesicht, diesmal auf der Suche nach einer lauernden Gefahr.
    »Manchmal ergeben Dinge einfach keinen Sinn«, sagte ich. »Sie geschehen, und wir müssen mit den Folgen leben. Sie sind ein Rädchen im Lauf der Dinge und ich auch.«
    Diese Erklärung schien Tatjanas unausgesprochene Befürchtungen zu besänftigen. Sie lächelte.
    Ich unterrückte den Drang, sie zu küssen.
    »Fahren Sie mit D ein paar Tage nach Philly«, sagte ich. »Nicht mehr als drei. Wenn Sie zurückkommen, ist alles geregelt.«
    Sie nickte und stand auf, während ich sitzen blieb.
    »Gehen Sie nicht nach oben?«, fragte sie.
    »Ich bleibe noch ein Weilchen sitzen und denke nach.«

43
    Die Unterhaltung mit Tatjana hatte ganze zwölf Minuten gedauert.
    Ich wollte das Haus gleich nach ihr verlassen. Ich brauchte eigentlich nichts aus der Wohnung. Die konnte ich, wenn ich keine äußerst unangenehme Situation heraufbeschwören wollte, ohnehin nicht betreten.
    Aber draußen war es kalt, und ich war in Gedanken mit dem Minenfeld beschäftigt, in das ich in den vergangenen drei Tagen geraten war.
    Beinahe instinktiv zog ich mein Handy aus der Tasche, gab die Buchstaben A-U-R ein und drückte auf die grüne Taste.
    »Hallo?«, meldete sie sich.
    »Hey.«
    »Leonid«, hauchte Aura Ullman. »Ich bin überrascht.«
    »Schlechter Zeitpunkt?«
    »Du kannst mich immer anrufen«, sagte sie, und für den Bruchteil eines Augenblicks war das Gewicht meines Lebens leichter.
    »Danke.«
    »Warum rufst du an?«
    »Ich wollte bloß mal Hallo sagen, schätze ich.«
    »Nein.«
    »Was? Ich kann nicht anrufen, um Hallo zu sagen?«
    »Das machst du nie. Was ist los mit dir?«
    »Zu viele Jobs gleichzeitig. Die Miete für deinen Boss reinzuholen ist echt Knochenarbeit.«
    »Möchtest du reden?«
    »Ja, aber ich habe nichts zu sagen.«
    Das brachte mir ein kurzes Schweigen ein.
    Nach einer Weile sprach sie weiter.
    »Erzähl mir wenigstens eine Sache«, sagte sie.
    »Was?«
    »Irgendwas.«
    »Okay. Dimitri hat sich in ein Edel-Callgirl verliebt, ist mit ihr abgehauen, und ihr Zuhälter will sie zurück. D ist verschwunden, und seine Mutter will ihn zurück. Twill jongliert mit allen Tellern in der Luft, und ich muss sie nacheinander auffangen, bevor sie auf dem Boden zerschellen. Und das ist noch die geringste meiner Sorgen.«
    »Kann ich helfen?«
    »Das hast du schon.«
    Danach hatte ich gesucht, die Wendemöglichkeit. Es war kein Hinweis und kein Geständnis, keine Drohung der Polizei oder eine blitzartige Eingebung darüber, was genau das Verbrechen oder wer der Schuldige war. Es war nicht einmal eine Enthüllung über meine Gefühle für Aura. Ich wusste schon, dass ich sie liebte. Mein Problem war der Spalt, der sich aufgetan hatte, als sie mir von Toller erzählt hatte. Es war der Schmerz, den ich dort spürte, der mich vom Weg abgebracht hatte.
    Es war ein tiefer Schmerz, und er

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