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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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und nüchtern fest: »Er ist ein Zuhälter.«
    »Und?«
    »Mein Bruder ist krank«, sagte sie. »Meine kleine Schwester war noch zu jung, um zu helfen. Meine Mutter war auf sich gestellt, und dann kam ein Mann und sagte, ich könne nach Amerika kommen und für drei Jahre machen … was ich nun seit drei Jahren mache, und wenn ich für seine Partner eine Million Dollar verdient hätte, wäre ich frei. Ich schicke Geld nach Hause und schlafe mit fetten alten Männern.«
    Der Türöffner der Haustür summte, und der Studienfreund meines Sohnes Bertrand Arnold stürzte herein. Er drückte auf den Fahrstuhlknopf und starrte auf die Tür, als wollte er die Kabine beschleunigen. Seine Anwesenheit konnte alle möglichen Gründe haben. Schließlich war er ein Freund meines Sohnes; er war schon einmal auf der Suche nach Dimitri vorbeigekommen.
    Er hätte wie gesagt alle möglichen Gründe haben können, sich in meinem Haus aufzuhalten.
    Doch angesichts des Wildblumenstraußes, der in der Beuge seines linken Armes lag, verengte sich die Auswahl spürbar. Er hatte wahrscheinlich um die Ecke gewartet. Vielleicht wollten er und Katrina sich ursprünglich irgendwo in der Nähe treffen, aber nachdem ich mich nun verspäten würde, schafften sie vielleicht noch ein paar Küsse, bevor ich nach Hause kam.
    »Er hat mich angelogen«, sagte Tatjana. Sie guckte in die dem Fahrstuhl entgegengesetzte Richtung.
    Wenn Bertrand einen Blick nach rechts geworfen hätte, hätte er mich dort sitzen und ihn anstarren sehen. Aber der junge Verehrer war mit seinen Gedanken woanders.
    Als die Fahrstuhltür aufging, stürzte er hinein, nichts als Hormone, Furcht und vielleicht sogar Liebe.
    »… als ich ihm gesagt habe, ich wollte, dass er sein Versprechen hält, hat er mich von einem Mann namens Wassili verprügeln und vergewaltigen lassen.«
    »Tatjana«, sagte ich.
    »Ja?«
    »Das ist ein sehr schöner Name.«
    »Danke«, sagte sie erstaunt.
    »Wie ist Dimitri in die ganze Geschichte geraten? Ich meine, mein Sohn hat ein gutes Herz, aber wenn ich in deiner Lage gewesen wäre, wäre er der Letzte gewesen, den ich um Hilfe gebeten hätte.«
    Sie senkte die Lider und lächelte. Diese junge Frau und ich waren ebenbürtig, zumindest ihrer Einschätzung nach. Womöglich hatte sie recht.
    »Ich habe mir sehr große Sorgen gemacht. Man konnte es mir ansehen. Er hat mich gefragt, was los ist, und ich war so aufgewühlt, dass ich ihm alles erzählt habe. Mit irgendwem musste ich reden. Dimitri hat gesagt, er würde jemanden kennen, der vielleicht einen Platz wüsste, wo ich mich verstecken konnte, bis wir in der Lage waren, etwas zu unternehmen. Ich hatte Angst, und ich kannte niemanden außer Professoren und Studenten … und Gustavs Huren. Dimitri hat mich Ihrem jüngeren Sohn vorgestellt. Zuerst dachte ich, er wäre bloß ein kleiner Junge, aber dann hat Twilliam mich inein Haus in der Bronx und später in ein Strandhaus auf Long Island gebracht. Er hat gesagt, sobald ich New York mit Dimitri verlassen hätte, würde er sich mit Ihnen in Verbindung setzen, und Sie würden schon wissen, was zu tun ist.«
    Ich dachte an meine Frau und ihren jüngeren Freund, an Dimitri und den Tiger, den er beim Schwanz gepackt hielt. Auras Freund versuchte, mein ganzes Leben zu zerstören, und Ron Sharkey wollte sich bei der Frau entschuldigen, die ihm alles kaputt gemacht hatte.
    »Wovon leben Sie und Dimitri?«, fragte ich.
    »Ich hatte in einem Spind in der Uni Geld versteckt.«
    »Wo ist D jetzt?«
    Das schöne Kind aus Minsk atmete ein und hielt den Atem an.
    »Wenn Sie mir gegenüber ehrlich sind, in allem«, sagte ich, »helfe ich Ihnen.«
    »Er möchte nicht, dass ich es Ihnen sage«, erwiderte sie. »Er hat mir gesagt, ich soll nicht hierherkommen. Er denkt, ich hole Kleider bei einer Freundin ab.«
    »Wo ist er?«
    »Bitte«, flehte sie. »Ich habe versprochen, es Ihnen nicht zu sagen.«
    »Warum sollte er annehmen, dass Sie mir irgendwas erzählen, wenn er glaubt, dass Sie bei einer Freundin sind?«
    »Twilliam hat ihm erzählt, dass ein paar Männer ihn hier gesucht haben. Er hat gesagt, Sie hätten es rausbekommen. Ich hab ihm gesagt, ich würde Sie anrufen.«
    »Und warum haben Sie das nicht getan?«
    »Weil Twilliam gesagt hatte, ich solle Sie treffen … nicht am Telefon.«
    »Twill ist ein Teenager.«
    »Er ist Mann.« Bestimmt wusste sie, wie der Satz grammatikalisch korrekt lauten müsste, doch ihr russischer Zungenschlag machte deutlich, was sie

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