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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Umstände würden gegen sie sprechen?«
    »Ich würde sagen, dass die Polizei ihren Job wirklich gut macht und normalerweise in der Lage ist, Schuldige von Unschuldigen zu unterscheiden.«
    Angie lehnte sich zurück und lächelte. Es war einechtes Lächeln, das einen Hauch von Belustigung andeutete.
    »Sie möchten wohl nicht von dieser Frau engagiert werden?«, fragte sie.
    »Dies ist eine rein hypothetische Situation«, erwiderte ich. »Wenn eine reiche Frau mit einer Smaragdkette und einem Schoßhündchen in mein Büro käme, wäre ich vielleicht überzeugender. Aber das ist ja nur ein Pausenjob.«
    Meine flapsige Sprache gefiel ihr.
    »Und wenn ich Ihnen erzählen würde, dass die fragliche Frau schon einmal von einem Mann bedroht wurde, und als sie zur Polizei ging, hat man ihr gesagt, sie solle noch mal anrufen, wenn er etwas getan hatte?«
    Ich zuckte seufzend die Achseln.
    »Ja«, sagte ich. »Das würde ich glauben.«
    »Und wenn sie Ihnen dann erzählen würde, dass man versucht hat, sie vor ihrem Haus zu entführen, und die Polizei hat immer noch nichts gemacht?«
    »Gar nichts?«
    »Sie sind in ihre Wohnung gekommen und haben ein paar Routinefragen gestellt. Sie haben gesagt, sie würden die Sache verfolgen, aber sie haben sich nicht mehr gemeldet. Ich … sie hat versucht anzurufen, aber sie haben nicht mal zurückgerufen.«
    Ich nippte an meinem Secondhandkaffee und staunte. Der Vormittag hatte sich komplett anders entwickelt, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich musste meine Worte äußerst sorgfältig wählen.
    »Der Job eines Privatdetektivs spielt sich in erster Linie auf der emotionalen Ebene ab«, sagte ich.
    »Was heißt das?«
    »Es gibt eine Ungewissheit im Leben des Klienten, und mein Job ist es, ihn oder sie darin zu beraten, wie man diese Ungewissheit mildern kann. Ein untreuer Ehepartner, ein betrügerischer Angestellter, es spielt keine Rolle. Ich muss Licht ins Ungewisse bringen. Manchmal ist Geld das Motiv, in anderen Fällen geht es um Liebe.«
    »Liebe ist in dieser Situation nicht im Spiel«, sagte Angelique Lear.
    »Verstehe.«
    »Und welchen Rat würden Sie Ihrer Klientin geben?«
    »Das kommt darauf an, in welche kriminelle Situation diese hypothetische Klientin hineingezogen wurde«, sagte ich. »Handelt es sich um ein Gewaltverbrechen, würde ich sie fragen, ob die Indizien sie in irgendeiner Weise belasten. Könnte es Zeugen geben? Jemanden, der sie, und sei es nur im Vorbeigehen, gesehen hat? Hat sie irgendetwas berührt oder Spuren wie Haare, etwas Handschriftliches oder einen Kassenbon am Tatort hinterlassen? Das NYPD kann wie gesagt sehr effizient sein. Und ein schweres Verrechen wird besonders hell ausgeleuchtet. Vielleicht dauert es Jahre, aber die Mühlen der Justiz mahlen, und irgendwann erfassen sie dann irgendeinen Fetzen, den die Klientin zurückgelassen hat.«
    Angie schluckte, bevor sie fragte: »Und wenn es nicht um ein Gewaltverbrechen geht?«
    »Ich glaube, das ist in diesem Fall nicht die Frage.«
    »Wieso nicht?«
    »Die hypothetische Klientin ist zwei Mal bedroht worden. Und da es nicht um Liebe geht, muss es sichbeinahe zwangsläufig um ein Gewaltverbrechen handeln.«
    Ich wartete geduldig und fragte mich, wohin es mich von hier aus führen würde, während Angie ihr Leben entlang der von mir skizzierten Linien neu einschätzte.
    »Also, Mr. McGill«, sagte sie schließlich, »was würden Sie Ihrer Klientin in dieser Situation raten?«
    »Ich würde ihr sagen, dass Flucht zwar eine Möglichkeit ist, aber keine leichte. Sie müsste ihren Namen ändern und sich eine neue Sozialversicherungsnummer besorgen. Diesbezüglich könnte ich ihr ein paar Tipps geben. Aber ich müsste ihr sagen, dass sie jede Hoffnung aufgeben müsste, je wieder an ihr vorheriges Leben anknüpfen zu können, während sie allein unter Fremden lebt. Und selbst in diesem neuen Leben würde sie auf Dauer eine Fremde bleiben. Sie könnte nie die Wahrheit über ihre Vergangenheit, ihre Kindheit oder ihre Ausbildung sagen. Und der junge Mann, der gerade gegangen ist, würde sie nie wiedersehen. So viel würde ich zu der Option einer dauerhaften Flucht sagen. Dessen ungeachtet müsste sie trotzdem für eine Zeit verschwinden. Wenn sie meine Klientin wäre, würde ich ihr raten, ungefähr eine Woche unterzutauchen, während ich die Drohungen und die versuchte Entführung untersuchen würde. Ich würde gar nicht wissen wollen, in welches vermeintliche Verbrechen sie verwickelt sein könnte. Auf

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