Falscher Ort, falsche Zeit
kindlichen Körper und ihren sorglosen Gang sofort, obwohl ich sie bisher nur auf Fotos gesehen hatte. Ihr locker fallendes braunes Kleid war halb von einer dunkelbraunen Lederjacke bedeckt. Dazu trug sie flache braune Schuhe und eine knallrote Handtasche. Ihr Haar war gekämmt, wirkte aber trotzdem ein wenig strubbelig. Ich hätte sie auch aus dem Augenwinkel erkannt.
John Prince war nicht ganz eins achtzig groß, doch ansonsten war seine schlanke Gestalt wohlproportioniert. Er trug eine graue Wollhose und ein cremefarbenes Hemd. Das Imitat einer Army-Jacke hatte ihn vermutlich fünfhundert Dollar ärmer gemacht, dazu trug er Turnschuhe.
Sie wandten sich in die meinem Parkplatz entgegengesetzte Richtung, waren also vermutlich in Richtung 7 th Avenue unterwegs. Über ihrer Schulter baumelte ein olivgrüner Rucksack, er trug einen mittelgroßen pinkfarbenen Koffer.
Ich folgte ihnen in sicherem Abstand. Wenn sie beide in ein Taxi stiegen, wusste ich, dass ich mindestens einehalbe Stunde Zeit hatte, die Wohnung zu durchwühlen. Das Problem war nur, dass das Gepäck vermutlich ihr gehörte und es deshalb nicht mehr viel zu durchsuchen geben würde.
Einen Block nördlich der 7 th Avenue betraten die beiden die Filiale einer schicken Coffeeshop-Kette. Einen Moment lang überlegte ich, draußen zu warten. Je weniger Gelegenheit sie hatten, mein Gesicht zu sehen, desto besser. Aber dann fiel mir etwas ein, das Mr. Nichols von Plenty Realty mir erzählt hatte – dass Angie um die Miete gefeilscht hatte, obwohl die schon deutlich unter dem marktüblichen Preis lag. Also platzte ich hinter dem Pärchen in das Café und blieb bei der Tür stehen, um mich zu orientieren.
Die meisten kleinen Tische waren besetzt, und die Schlange für Espressos und Cappuccinos war lang. In einer Ecke waren zwei kleine Tische frei; auf einem stand ein noch nicht abgeräumter Pappbecher.
Ich setzte mich an den unabgeräumten Tisch, verschob meinen Stuhl, damit es aussah, als würde ich beide Tische belegen, führte den Pappbecher an die Lippen und tat, als würde ich trinken.
»Ist dieser Tisch besetzt?«, fragte ein junger Mann. Hinter ihm stand ein weiterer Mann. Beide trugen Schnurrbärte und Anzüge.
Noch im Fragen machte er Anstalten, sich hinzusetzen.
»Ja, ist er«, erklärte ich ihm.
»Ich sehe niemanden.«
John und Angie unterhielten sich. Sie nahm ihm den Koffer ab.
Ich zog den freien Tisch näher an mich heran und starrte dem jungen Bürohengst in die Augen – womit ich mich in etwa so deutlich ausdrückte wie ein Wachhund, der die Zähne fletscht.
Während die beiden jungen Männer den Rückzug antraten, watete Angie, den Koffer in beiden Händen, durch den Teich besetzter Tische.
Ich trank einen Schluck von dem stehengebliebenen Kaffee. Er war kalt und sowohl süß als auch bitter – ein perfektes Gebräu für New York.
»Ist dieser Tisch besetzt?«, fragte sie mich.
Manchmal funktioniert auch was.
»Nein«, sagte ich. »Meine beiden Freunde sind gerade gegangen.«
Wir lächelten uns an, und ich schob den Tisch in ihre Richtung. Sie ließ den Rucksack von ihrer Schulter rutschen und stellte den Koffer an die Scheibe.
»Das sieht aber schwer aus«, sagte ich.
»Mein ganzes Leben«, erklärte sie mir und schlug mit ihrer kleinen weißen Faust gegen den Rucksack.
Ich lächelte über ihre Worte, legte meinen frisierten MP 3-Player auf den Tisch und steckte die Stöpsel ins Ohr. Dann zog ich ein Buch aus der Tasche, Wem gehört die Erde? von John Wyndham, und schlug es auf einer Seite mit Eselsohr auf.
Bugs kleines Gerät, das ziemlich genauso aussah wie ein iPod, war das, was Twill »voll cool« nennen würde. Es funktionierte wie ein gewöhnlicher Player, solange ich nicht auf einen speziellen Knopf drückte. Derart aktiviert gab das Gerät noch leise den Song wieder, der gerade lief, während es gleichzeitig als Richtmikrofon fungierte. Ich musste es nur auf Angies Tisch richten und ihr, in mein Buch vertieft, den Rücken zuwenden. Angie und Prince würden sich völlig ungestört wähnen.
Und genauso lief es dann auch. John kam mit dem Kaffee, und die beiden rückten eng zusammen und flüsterten.
»Ich wünschte, du würdest mich mitkommen lassen«, sagte er.
»Was würde Michele Lee dazu sagen?«, erwiderte sie mit tapferer Lockerheit.
»Das ist nicht komisch«, sagte er. »Wir sollten zur Polizei gehen.«
»Wie sollte ich es denen erklären? Sie würden mich für den Rest meines Lebens einsperren.«
»Das
Weitere Kostenlose Bücher