Falscher Ort, falsche Zeit
ist besser, als umgebracht zu werden.«
»Nein, ist es nicht«, sagte sie.
Nachdem beide eine Weile geschwiegen hatten, sagte er: »Dann melde dich wenigstens, damit ich weiß, dass es dir gut geht.«
»Ich werde eine Weile warten müssen«, flüsterte sie.
»Wie lange?«
Wieder Schweigen und dann das leise Rascheln von Kleidung. Ich stellte mir vor, dass sie sich küssten.
»Ich liebe dich«, flüsterte er.
»Geh zur Arbeit, John.«
»Ich komme mit zum Bahnhof.«
»Nein.«
»Warum nicht? Deine Sachen sind schwer.«
»Ich werd mich daran gewöhnen müssen, sie alleine zu tragen, und ich will nicht, dass du irgendwas darüber weißt, wo ich bin. Du sollst nicht wissen, ob ich den Zug oder den Bus genommen habe …«
Oder das Flugzeug, dachte ich.
»Ich kann dich doch nicht einfach hier sitzen lassen«, sagte er.
»Doch, das kannst du. Geh jetzt.«
Diese Gesprächsschleife wiederholte sich über etwa zehn Minuten. Schließlich bewegte sie ihn, aufzustehen und zur Tür zu schlurfen. Ihr Abschied war melodramatisch, aber es steckte echtes Gefühl dahinter.
Als er weg war, nahm ich die Ohrhörer heraus und drehte mich so, dass ich meine ahnungslose Klientin sehen konnte.
Sie nippte an ihrem Kaffee und starrte vor sich hin. Ich tat dasselbe. Ich machte mir keine Sorgen über ansteckende Krankheiten wegen des benutzten Bechers. In einem war ich mir – zumindest meistens – sicher: Mein Tod würde sich unbemerkt anschleichen, ein Meisterdieb, den ich nicht kommen sah.
Während ich vermeintlich ins Nichts starrte, dachte ich nach. Wenn ich etwas mit Gewissheit über Alphonse Rinaldo wusste, dann, dass er erwartete, dass seine Anweisungen ohne Fragen und Abweichung befolgt wurden. Ich sollte nicht mit Angie reden. Wenn ich diese Regel brach, würde das meine Beziehung zu dem Big Boss allermindestens trüben.
Ja … auf jeden Fall … ich wäre ein Riesenidiot, auch nur daran zu denken.
»Verzeihen Sie, Ma’am«, sagte ich.
»Ja?« Ihr Lächeln war spontan und natürlich.
»Ähm …« Ich zögerte oder tat wenigstens so als ob. »Darf ich Ihnen meine Karte zeigen?«
Ich zückte meine vorsteinzeitliche rotbraune Brieftasche und präsentierte ihr eine Karte mit meinem richtigen Namen, Beruf, Adresse, Büro- und Handynummer.
Sie las die Informationen und gab mir die Karte zurück.
»Ja?«, fragte sie noch einmal.
»Ich hab hier bloß einen Kaffee getrunken«, sagte ich. »Ich arbeitete zurzeit an ein paar Fällen gleichzeitig und brauchte einen kleinen Kick. Aber Sie und Ihr Freund haben auf mich einen sehr aufgewühlten Eindruck gemacht.«
Ihr Blick sagte, dass ich recht hatte, sie jedoch nicht darüber reden konnte. Diese Kommunikation besaß genau jene Vertrautheit, die ich von dem Mädchen erwartet hatte.
»Verstehe«, sagte ich. »Hier bin ich, ein Fremder. Aber Sie haben meine Karte gesehen. Wir sind beide hier, leben vollkommen unterschiedliche Leben … Ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit, Probleme zu lösen. Bevor Sie diesen Kaffee austrinken, könnten Sie mich etwas fragen, ohne irgendwelche Details zu nennen, und ich könnte Ihnen meine Meinung zu der Situation sagen.«
Ich sah es in ihrem Gesicht, den unbedachten Glauben, dass alles möglich war. Deswegen war sie auch nicht argwöhnisch geworden, als ihre Miete nur ein Drittel des in Manhattan üblichen Kurses betrug. In Angies Leben passierten gute Dinge wie ich einfach so.
50
Oberflächlich betrachtet war es ein wirklich gutes Angebot. Ich hatte die Verzweiflung während ihres Gesprächs mit John Prince gesehen, konnte sie jedoch unmöglich belauscht haben. Und selbst wenn, hatten sie nichts gesagt, was ihre Identität oder die Natur ihres speziellen Problems verraten hätte.
Angie starrte mich an und sah einen stämmigen schwarzen Mann mit Glatze in einem praktischen dunkelblauen Anzug von der Stange. Ich hätte Manager der New Yorker Verkehrsgesellschaft oder ein Staubsaugervertreter aus dem alten Mittelwesten sein können. Ich war jedenfalls bestimmt kein kriminelles Superhirn oder jemand, der bis zu diesem Moment irgendetwas mit ihrem Leben zu tun gehabt hatte.
»Angenommen, eine Klientin käme in Ihr Büro und würde Ihnen erzählen, dass sie in ein Verbrechen verwickelt, jedoch unschuldig ist?«
»Ich würde sie fragen, warum sie zu mir kommt, statt zur Polizei zu gehen.«
An ihrer Atmung erkannte ich, dass das die richtige Antwort war.
»Und wenn sie Ihnen sagen würde, sie hätte … etwas getan, und die
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