Falsches Blut
Fernsehen liefen noch die Morgennachrichten, allerdings gab es nichts Aufregendes. In der Nacht zuvor hatte sich kein Mord ereignet, was für die Jungs und Mädels im Morddezernat eine echte Wohltat sein musste. Trotzdem riefen mehrere Kirchengemeinden im nördlichen Teil des Zentrums zu einer gemeinsamen Friedenskundgebung in der Innenstadt auf, um gegen die wachsende Gewalt zu protestieren. Auch wenn es nichts bewirken würde, war es schön zu wissen, dass die Menschen in schwierigen Zeiten zusammenhielten.
Eine Viertelstunde später läutete das Telefon. Ich hob ab.
» Meine Mandanten sind mit einem Treffen einverstanden « , sagte Meyers. » Heute Mittag. Dreizehn Uhr. Und seien Sie pünktlich. «
Ich kratzte mich mit dem Daumen an der Stirn. » Ginge es vielleicht auch etwas früher? Je früher ich die Informationen bekomme, umso schneller kann ich den Fall lösen. «
» Seien Sie mit dem zufrieden, was Sie kriegen, Detective « , gab Meyers zurück. » Es war Ihre Idee, nicht meine. Ach ja, und noch etwas: Wenn Sie uns über den Tisch ziehen, werden wir Sie doppelt und dreifach drankriegen, das kann ich Ihnen versprechen. «
Kein schöner Gedanke.
Ich dankte ihm für seine Zeit und legte auf. Eigentlich hatte ich den Tag für die Ermittlung im Mord an Rachel und Robbie verplant, aber es gab noch einige andere Dinge zu erledigen. Ich wusch mich und verrichtete das Morgengebet im Wohnzimmer, obwohl es bereits ziemlich spät war. Danach zog ich mich an und stieg in den Wagen.
Das Drogendezernat des IMPD funktionierte nach etwas anderen Regeln als die anderen Abteilungen. Die Beamten waren so gut wie nie im Fernsehen zu sehen, sie nahmen nicht an morgendlichen Briefings teil, und sie waren noch nicht einmal im selben Gebäude untergebracht wie wir, sondern in einem alten Lagerhaus ein paar Häuserblocks entfernt, damit ihre Anonymität gewahrt blieb. Sie waren echte Profis und leisteten hervorragende Arbeit.
Ich stellte meinen Wagen auf einem städtischen Parkplatz ab und ging die drei Blocks zu Fuß. Das Gebäude wirkte verlassen– die beste Tarnung überhaupt. Ich trat vor die einzige Tür, einem Ungetüm aus solidem, grauem Stahl, und drückte auf den Summer. Etwa drei Minuten später ging sie auf, woraufhin ich einem kleinen hispanischen Beamten in Jeans und Hawaiihemd meine Dienstmarke unter die Nase hielt. Er ließ mich herein.
So heruntergekommen das Gebäude von außen auch wirkte– die Büros waren erstklassig ausgestattet und verfügten über hochmoderne Video- und Klanglabore zur Auswertung von Überwachungsmaterial. Mein Begleiter führte mich in den Eingangsbereich, wo er stehen blieb und mich erwartungsvoll ansah.
» Haben Sie Detective Lee heute Morgen schon gesehen? « , fragte ich.
» Der Suffkopf ist in Schallkabine eins. Wissen Sie, wie Sie hinkommen? «
Ich nickte und machte mich auf den Weg zu den Schallkabinen. Da ich nie beim Drogendezernat gearbeitet hatte, kannte ich nicht allzu viele der Kollegen dort und wurde auch prompt zweimal aufgehalten und gefragt, wer ich sei. Beide Male zückte ich meine Dienstmarke und erklärte, dass ich auf dem Weg zu Detective Lee sei.
Lee nahm mich vor der Kabine in Empfang. Er war klein, hatte ein dünnes Ziegenbärtchen, tiefschwarzes Haar und trug einen zerknautschten braunen Anzug. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Er sah aus, als hätte er harte Zeiten hinter sich, was höchstwahrscheinlich beabsichtigt war.
» Ich habe gehört, dass Sie nach mir suchen, Ash « , sagte er und streckte mir die Hand hin. » Lange nicht mehr gesehen. «
» Die Staatsanwaltschaft hält mich ziemlich am Laufen « , gab ich zurück. » Zeugen babysitten sich schließlich nicht von allein. «
Er lachte. » Was kann ich für Sie tun? «
» Ich bin auf der Suche nach Informationen « , sagte ich, woraufhin Lee nickte und mir bedeutete, ihm zu folgen. Er ging vor mir her den Korridor entlang bis zu seinem Schreibtisch.
» Einer meiner Informanten wurde ziemlich hart rangenommen. Jemand hat ihm mit einer Zange die Fingernägel herausgerissen. «
Lee stieß einen Pfiff aus. » Hat er seinen Schwanz ins verkehrte Loch gesteckt oder was? «
» Nein, ich glaube nicht « , antwortete ich. » James hat mir erzählt, er hätte versucht, etwas zu kaufen– die Sache sei aber den Bach runtergegangen. Er ist eine meiner zuverlässigsten Quellen, deshalb will ich sicherstellen, dass sich so etwas nicht wiederholt. «
Mittlerweile hatten wir das Büro erreicht.
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