Falsches Blut
gelegt, und suchte den Raum ab. Ich folgte ihm. Der Gestank, der uns entgegenschlug, raubte uns beinahe den Atem.
Rollo hauste in einem heruntergekommenen Einzimmerapartment. Auf der linken Seite des Raums befand sich ein Schrankbett, auf der rechten eine Kitchenette mit zwei Kochplatten und einem Kühlschrank. Leere Makkaroni-mit-Käse-Verpackungen und Zigarettenstummel lagen über den Boden verstreut, und es wimmelte von Fliegen.
» Scheiße « , stieß Lee hervor und schob seine Waffe ins Holster zurück. Als ich vortrat, fiel mein Blick auf die Quelle des bestialischen Gestanks: Rollo war tot. Er saß auf einem Stuhl gegenüber der Tür. Sein Kopf war in den Nacken gefallen, so dass der klaffende Schnitt entlang der Kehle aussah wie ein breites Grinsen. Ein riesiger Fleck aus getrocknetem, braunem Blut verlief über die Vorderseite seines Hemds.
Ich presste mir die Hand auf den Mund und trat einen Schritt vor. Wer auch immer das gewesen sein mochte, hatte ganze Arbeit geleistet– ich konnte sogar die Sehnen in seinem Genick erkennen. Ich sah mich flüchtig im Raum um, konnte aber nirgendwo Waffen oder Patronenhülsen entdecken. Es hatte noch nicht einmal den Anschein, als hätte es einen Kampf zwischen Rollo und seinem Mörder gegeben.
» Das versaut mir echt den Tag « , nörgelte Lee und zückte sein Handy. Er wählte eine Nummer und wies die Einsatzzentrale an, das Morddezernat zu informieren und eine Handvoll Streifenbeamten zu schicken, um die Schaulustigen in Schach zu halten, die sich garantiert einfinden würden, sobald Rollos Leiche aus dem Apartment geschafft würde. Ich nahm mir inzwischen die Küche vor. Rollo war allem Anschein nach ein Kommunikationsfan gewesen, wie der Karton voll billiger, noch verpackter Prepaidhandys auf der Arbeitsplatte verriet. Offenbar hatte er die Dinger gleich kistenweise gekauft. Ich sah zu Lee hinüber, um sicherzugehen, dass er nichts mitbekam, dann schnappte ich mir das einzige Telefon ohne Verpackung und inspizierte es. Das Anrufverzeichnis wies lediglich einen Eintrag auf– eine hiesige Nummer. Ich prägte sie mir ein; dann wischte ich das Handy sorgfältig mit dem Ärmel ab und legte es wieder zurück auf die Arbeitsplatte. Kurz darauf beendete Lee sein Gespräch und sah mich an. » Vielleicht sollten Sie Ihren Kontaktmann anrufen. Wir werden ihn wahrscheinlich brauchen. «
Lee hatte Recht. Selbst wenn James nichts mit Rollos Tod zu tun hatte, würde jemand mit ihm reden wollen. Ich nickte und trat auf den Korridor hinaus. Dort gab ich als erstes die Nummer aus Rollos Anrufverzeichnis in mein Handy ein, dann wählte ich James’ Nummer. Beim zweiten Läuten hob jemand ab.
» Detective Rashid? «
Die Stimme kam mir bekannt vor, doch ich konnte sie nicht zuordnen. Ich wusste nur, dass sie nicht James gehörte.
» Ja, hier spricht Ash Rashid « , sagte ich. » Ich möchte gern James Russo sprechen. Wer ist da? «
» Mike Bowers. Und wenn Sie mit Russo reden wollen, werden Sie wohl einen Geisterbeschwörer brauchen, weil ich nämlich gerade vor seiner verdammten Leiche stehe. «
7
Bevor die Verstärkung eintraf, stimmten Lee und ich uns ab, was wir sagen würden. Normalerweise ist es uns Muslimen streng verboten zu lügen. Daran halte ich mich generell– von ein paar Ausnahmen abgesehen. Wenn Hannah zum Beispiel wissen wollte, ob mir ihr Hackbraten geschmeckt habe, erlaubte ich mir eine Notlüge und behauptete, er sei köstlich gewesen, um sie nicht zu kränken. Der Islam erlaubt das Lügen in Ausnahmesituationen wie dem Krieg. Ich mag kein Experte für islamisches Recht sein, aber nach meiner Auffassung gibt es keinen großen Unterschied zwischen Polizeiarbeit und einer kriegerischen Auseinandersetzung– weshalb ich die berufliche Wahrheit bisweilen großzügig zu meinen Gunsten auslege.
Nach etwa fünf Minuten trafen die ersten Streifenbeamten am Tatort ein. Beide waren jung und weiß– nicht gerade die idealen Voraussetzungen, um in einer Gegend wie dieser erfolgreich arbeiten zu können. Wir schilderten ihnen in groben Zügen unsere Version der Vorkommnisse, worauf die Polizisten das Apartment betraten, um einen Blick auf den Tatort zu werfen. Einer der Jungs würgte beim Anblick von Rollos Leiche, riss sich jedoch in letzter Sekunde zusammen.
Nach einer halben Stunde trudelte auch der Rest der Truppe ein. Ein früherer Kollege aus dem Morddezernat nahm unsere Aussagen auf, was ziemlich erleichternd war. Denn selbst wenn er uns unsere Story nicht
Weitere Kostenlose Bücher