Falsches Blut
Ähnlich wie beim IMPD teilten sich die Detectives einen riesigen offenen Raum, der in einzelne, mit Trennwänden versehene Kabuffs unterteilt war. Lees Wände waren mit Fotos von vermeintlichen Drogendealern vollgepflastert. Ich zog einen Stuhl aus einem der Nachbarkabuffs heran und setzte mich neben Lees Schreibtisch, während er sich auf seinen Drehstuhl fallen ließ und die Hände hinter dem Kopf verschränkte.
» Von einem Typ mit Fingernagelfetisch weiß ich nichts « , sagte er. » Hat Ihr Mann einen Namen mitbekommen? «
Ich schüttelte den Kopf. » Er wusste noch nicht einmal, wer seine Geschäftspartner sein würden. Aber der Typ, der das Treffen eingefädelt hat, nennt sich Rollo. «
Lee horchte auf. » Sein richtiger Name ist Rolando Diaz « , sagte er, beugte sich vor und bewegte seine Computermaus hin und her. Er tippte sein Passwort ein und rief eine der Dezernatsdatenbanken auf, in die er den Namen eingab. » Diaz ist im Grunde nur ein Mittelsmann. Er fädelt Deals ein, damit sich die Typen aus den oberen Reihen nicht mit den kleinen Würstchen von der Straße abzugeben brauchen. «
Das passte zu dem, was James mir erzählt hatte.
» Können Sie sich vorstellen, dass er auch einen Dealer auf Anweisung plattmachen würde? «
Lee zuckte die Achseln. » Rollo mag nicht gerade ein Chorknabe sein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Fingernagelherausreißen zu seinen Spezialgebieten gehört. «
» Wissen Sie, für wen er arbeitet? « , fragte ich.
» Zuerst ausschließlich für die Kubaner, aber vor ein, zwei Jahren wurden sie von den Russen aus dem Markt gedrängt. Wahrscheinlich ist er inzwischen zu denen übergelaufen. Ist Ihre Quelle ein bisschen Aufwand wert? «
» Er hat eine Menge Arbeit für mich erledigt– deshalb: Ja. «
Nachdenklich strich Lee sich über sein Ziegenbärtchen. Er war zu klug, um mich zu fragen, woraus James’ Tätigkeiten genau bestanden hatten, und ich würde es ihm ganz bestimmt nicht auf die Nase binden. Kurz gesagt, tat James Dinge für uns, zu denen nur ganz wenige in der Lage waren: Er wusste, dass es Typen gab, die dringend von der Straße weg mussten, und half uns dabei, das zu bewerkstelligen. Wenn man mich fragte, stand das IMPD definitiv in seiner Schuld.
» Wir können uns Rollo gleich heute Morgen noch vorknöpfen « , sagte er dann. » Ist Wochen her, seit wir ihn das letzte Mal aufgescheucht haben. «
» Haben Sie seine Adresse? «
Lee tippte auf seinen Monitor. » Klar « , sagte er. » Und? Sind Sie dabei? «
» Aber hallo! «
Wir nahmen Lees Dienstwagen, einen auf Hochglanz polierten schwarzen 63er Chef Impala, der zwar deutlich aus der Masse der typischen Innenstadt-Fahrzeuge herausstach, in der Gegend, die wir ansteuerten, jedoch nicht weiter auffiel. Wir fuhren etwa zehn Minuten nach Norden in ein Wohnviertel, das aus Apartmentkomplexen und kleinen Bungalows bestand. An den meisten Häusern fehlte mindestens eine Fensterscheibe, und die Straßen waren von armtiefen Schlaglöchern übersät.
Lee stellte den Wagen vor einem fünfstöckigen Backstein-Apartmentgebäude ab, das aussah, als sei es früher eine Schule gewesen. Der Gehsteig vor dem Haus bröckelte. Ich stieg aus und zog mein Jackett enger um mich, um meine Waffe zu verbergen. Lee hingegen zog seine Pistole– eine 45er, soweit ich sehen konnte– ganz offen aus seinem Gürtelholster und lud sie.
» Auf geht’s « , sagte er dann und schob sie ins Holster zurück. » Alles klar? «
Ich nickte. Lee ging auf die stählerne Eingangstür zu. Der Türgriff war abgebrochen, so dass sie sich nicht mehr schließen ließ. So viel zum Thema Mietersicherheit.
Rollos Apartment befand sich im vierten Stock am Ende eines langen Korridors. Der Teppichboden dort war so fadenscheinig, dass der blanke Betonboden durch die Brandlöcher schimmerte. Es roch nach Urin. Lee wies mit dem Kopf auf die letzte Tür auf der rechten Seite. Dort, wo die braune Farbe abblätterte, lagen winzige Brösel auf dem Teppich.
Wir brauchten uns nicht abzusprechen– wir hatten so etwas schon so oft getan, dass uns die Abläufe in Fleisch und Blut übergegangen waren: Ich legte meine Hand auf den Spion, während Lee seine Waffe zog und sich mit ausgestreckter Hand vor der Tür postierte. Ich zählte lautlos an den Fingern drei-zwei-eins-null, worauf Lee den Fuß anhob und direkt unterhalb des Schlosses gegen das Holz trat. Die Tür flog sofort auf. Mit einem Satz sprang Lee hinein, beide Hände um die Waffe
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