Falsetto
wurde ziemlich hysterisch, als sie die Katakomben sah. Man mußte sie hinausbringen.«
»Kein Wunder.«
»Wie dem auch sei, die Contessa ist jetzt jedenfalls wieder da.
Sie hat ihre Pflicht erfüllt, ihr Cousin ist begraben. Dieser Ball ist jetzt recht wichtig für sie. Sei also bitte rechtzeitig dort.«
»Aber was hat das alles mit mir zu tun?«
»Die Contessa mag dich, sie hat dich immer gemocht«, sagte Guido. »Und« - er legte den Arm um Tonio und hielt ihn fest -
»keinen Wein mehr.«
Als er im Hause der Contessa ankam, war dort alles dunkel.
Er hatte die Kirche verlassen, sobald Caffarelli seine erste Arie gesungen hatte. Der Gesang des Kastraten hatte ihn gleichzeitig begeistert und gedemütigt, hatte aber keine quälenden Erinnerungen an Venedig heraufbeschworen, denn er hatte Caffarelli seitdem schon zu oft singen hören.
Er hatte auch versucht, sich von Caffarelli auf eine ganz besondere Art beeinflussen zu lassen. Er wollte, daß Caffarelli ihm jenen Mut gab, der ihm selbst fehlte.
Ob das nun geschehen war oder nicht, das wußte er nicht.
Aber er empfand es als angenehm, frühzeitig das Haus der Contessa zu betreten und den Luxus genießen zu können, all den goldverzierten Stuck vom Mondlicht beschienen zu sehen.
Er gab dem Portier seinen Mantel, erklärte, daß er noch keinen Wunsch habe, und wanderte allein durch eine Reihe leerer Zimmer. Einfache Möbelstücke nahmen im Schatten gespenstische Formen an, schwebten über Teppichen, deren Muster kaum zu erkennen waren. Die warme Luft, die herein-strömte, roch süß. Da war noch kein Rauch, kein brennendes Wachs und kein französisches Parfüm.
Aber es war nicht so, daß es ihm, wie Guido dachte, tatsächlich etwas ausgemacht hätte, hierherzukommen. Er war des Ganzen einfach müde geworden, vor allem, seit vor etwa vier oder fünf Monaten das blonde Mädchen verschwunden war.
Aber vielleicht, vielleicht, würde sie heute abend ja hier sein.
Das Haus, dessen Türen und Fenster offenstanden, so daß man die nächtlichen Insekten summen hören, den Rosenduft riechen konnte, schien der Inbegriff des Südens zu sein.
Selbst die unglaubliche Vielzahl von Dienern schien für den Süden typisch, eine Heerschar von Hungerleidern, ausstaffiert mit Spitze und Satin, die keinen Lohn bekamen und die nun ihre kleinen Signalfeuer von Zimmer zu Zimmer trugen.
Er spazierte in den Garten hinaus, denn er wollte nicht miterleben, wie das Haus zum Leben erwachte. Als er einen Blick zurück in den dunklen Schlund des Salons warf, den er gerade verlassen hatte, sah er durch den Korridor bereits eine Prozession von Musikern herannahen, riesige Kontrabässe und Celli auf ihren gebeugten Rücken. Francesco war auch dabei.
Er hatte seine Violine beim Hals genommen, als wäre sie ein großer toter Vogel.
Tonio wandte den Blick ab und sah zum Halbmond hinauf.
Überall ringsum standen sauber beschnittene Zitronenbäume, marmorne Bänke schimmerten schwach auf dem Grasteppich.
Direkt vor ihm lag, kaum wahrnehmbar, ein gepflasterter Pfad.
Er begann ihm zu folgen. Während im Haus hinter ihm immer mehr Lichter angezündet wurden, wanderte er durch ein Tor in den großen Rosengarten zu seiner Linken. Dort blühten, von der Contessa persönlich gehegt und gepflegt, die herrlichsten Rosen. Er wollte all diese Lieblichkeit solange wie möglich um sich haben. Heute war der erste Mai, das machte ihm immer noch zu schaffen. Er wollte allein sein, um nachdenken zu können.
Als er jedoch zu den eigentlichen Rosenbeeten kam, sah er, daß aus einem kleinen Nebengebäude jenseits des Gartens und unweit der Rückseite des Hauses helles Licht fiel. Eine Flügeltür stand offen. Als er langsam näherging, dabei hier und da eine besonders große Blüte berührte, erblickte er durch diese Tür eine herrliche Vielfalt von Farben und Gesichtern und etwas, das wie der blaue Himmel aussah.
Er blieb stehen. Es war eine merkwürdige Illusion. Die Flügeltür war ein Portal zu irgendeiner überaus bevölkerten und tur-bulenten Welt.
Er trat ein kleines Stück näher und erkannte, daß er in einen Raum voller Gemälde blickte! An der Wand geradeaus vor ihm war ein riesiges Bild aufgestellt, davor befanden sich auf Staffeleien weitere Gemälde. Er stand lange Zeit da und betrachtete diese Werke. Aus der Ferne wirkte es, als wären sie bereits fertig gemalt. Es waren biblische Gesichter und Gestalten, die so lebendig und vollkommen wirkten wie jene, die Tonio schon in Palästen und
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