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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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bereit?«
    »Guido, Caffarelli ist gerade gekommen«, flüsterte er. Seine Hände fühlten sich feuchtkalt an. Er wollte singen, gleichzeitig aber wäre er am liebsten davongelaufen. Nein, in Caffarellis Gegenwart konnte er nicht singen.
    Aber Guido hatte für den großen Kastraten nur ein höhnisches Lächeln übrig. Tonio konnte einen kurzen Blick auf ihn erha-schen, als die Menge zurückwogte und sich dann wieder schloß. Es schien, als würde dieser Mann selbst hier eine ungeheure Macht ausstrahlen, so wie Tonio es vor Jahren auf der venezianischen Bühne erlebt hatte. Tonio glaubte, ihn lachen zu hören.
    »Jetzt tu, was ich dir gesagt habe«, sagte Guido. »Laß die Contessa das Tempo vorgeben. Ich werde mich ihr anpassen, und du machst es ebenso.«
    »Aber Guido -« begann Tonio, und dann schien es, als fehle ihm selbst die Kraft zum Sprechen. Das hier war alles ein ungeheurer Irrtum. Doch Guido war schon fast wieder weg.
    Da tauchte Maestro Cavalla mit Benedetto auf. Guido drehte sich rasch noch einmal zu Tonio um und sagte: »Geh jetzt zum Cembalo und warte dort.«

    Es schien, als wisse er nicht, wohin er mit seinen Armen sollte.
    Er hatte die Notenblätter in der Hand, aber wie hoch sollte er sie halten? Plötzlich dämmerte ihm, daß jedermann dem Ganzen ungeteilte Aufmerksamkeit schenken mußte, da es die Gastgeberin selbst war, die singen würde. Was hatte Guido getan! Da war der Maestro, der ihn ansah, und Benedetto starrte ihn natürlich auch an. Irgend jemand hatte Caffarelli beiseite genommen. Caffarelli nickte, oooo Gott! Warum muß-
    te sich Caffarelli ausgerechnet heute abend so verdammt gnädig zeigen, wo er sonst doch unerträglich war! Caffarelli fixierte Tonio einen kurzen Augenblick, so wie er das vor drei Jahren in einem venezianischen Salon schon einmal getan hatte.
    Schweigen fiel über die versammelten Gäste. Diener trugen kleine Polsterstühle herbei. Die Damen nahmen Platz, die Herren drängten sich in den Türrahmen, so als wollten sie jeden möglichen Fluchtweg versperren.
    Die kleine mollige Hand der Contessa berührte plötzlich sein Handgelenk. Als er sich herumdrehte, sah er, daß ihr Haar jetzt gepudert und zierlich gelockt war. Sie sah sehr hübsch aus. Sie wiegte den Kopf und summte dazu die ersten paar Takte ihres Liedes, mit dem die Serenade nach der Introduktion eröffnet wurde, dann zwinkerte sie ihm zu.
    Tonio kam es so vor, als hätte er irgend etwas vergessen, als wäre da etwas gewesen, das er sie hatte fragen wollen. Irgend etwas irritierte ihn, aber er kam nicht darauf, was es war. Da wurde ihm bewußt, daß er die junge blonde Frau bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Wo war sie? Sie konnten doch nicht ohne sie anfangen, sicher würde sie zuhören wollen. Gewiß würde sie gleich kommen, gleich würde er ihr Gesicht sehen.
    Im Raum war es still geworden. Nur hier und da hörte man noch Taft rascheln. Tonio sah plötzlich voller Schrecken, daß Guidos Hände über den Tasten schwebten. Die Geiger hoben ihre Bögen. Das Stück begann mit wundervoll vibrierenden Streicherklängen.
    Er schloß für einen Moment die Augen, und als er sie wieder aufschlug, überkam ihn vollkommene Ruhe. Es war eine Wärme, sanft und unendlich tröstlich, die er durch seinen Körper strömen spürte, während er gleichmäßig und entspannt atmete. Vor ihm war jedes einzelne Gesicht deutlich zu sehen, während weiter hinten alles zu einem Meer vielfältiger Farben verschmolz. Einen Augenblick lang sah er sogar zu Caffarelli hinüber, der mitten unter all diesen gewöhnlichen Männern und Frauen saß und dabei bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Löwen hatte.
    Die Violinen tanzten. Die Hörner fielen mit goldenen Tönen ein, dann vereinten sich alle zu einer pulsierenden Melodie, so daß Tonio nicht widerstehen konnte, sich ein wenig im Takt zu wiegen. Als sie dann innehielten, um in einem traurigeren, getrageneren Ton fortzufahren, spürte er, wie er dahinzutreiben begann, während sein Blick verschwamm. Was er als nächstes sah, war die kleine Contessa, die sich vom Cembalo an ihre ersten Töne heranführen ließ. Die Celli spielten so sanft, daß sie wie leises Atmen klangen. Dann wippte die Contessa zuerst mit dem Kopf, daraufhin mit dem ganzen Körper, und eine tiefe, strahlende Stimme kam mit solcher Fülle und solch berauschender Süße aus ihrer Kehle, daß Tonio spürte, wie er plötzlich frei von allen Gedanken war. Ihr Blick löste sich vom Notenblatt. Sie sah zu ihm auf, und in

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