Falsetto
allein.«
»Aber was sagst du denn da? Wohin soll ich denn gehen? Nur weil...«
Während er noch redete, konnte er hören, wie aus einem der Zimmer weiter unten im Korridor erhobene Stimmen drangen.
Er zog Paolo sanft den Flur entlang, wobei er ihm tröstend die Hand auf die Schulter gelegt hatte. Aber Paolo kämpfte offensichtlich immer noch mit den Tränen.
Es wurde gestritten.
»Fünfhundert Dukaten«, erklärte Guido gerade.
»Laß mich das erledigen«, hörte er darauf den Maestro sagen.
Tonio drückte die Tür sacht ein Stück auf. Durch den Spalt konnte er sehen, daß es Ruggerio war, mit dem sie sich unterhielten. Die Contessa, die Tonio entdeckt hatte, kam rasch auf ihn zu.
»Geh nach oben, strahlendes Kind«, sagte sie jetzt, während sie in den Korridor hinaustrat und die Tür hinter sich schloß.
»Wer ist dieser Mann?« flüsterte er.
»Das möchte ich dir erst sagen, wenn alles geregelt ist«, sagte sie. »Komm mit.«
15
Es war drei Uhr morgens. Dennoch befand sich die halbe Festgesellschaft immer noch im Haus.
»Liebstes Kind«, hatte die Contessa gesagt, bevor sie ihn allein ließ, »es ist reiner Zufall, daß Signore Ruggerio hier ist.
Wir waren uns aber alle ganz sicher, daß du nicht singen würdest, wenn wir dir davon erzählten!«
Stundenlang hatte Tonio allein in dem geräumigen Zimmer im oberen Stockwerk, dessen Fenster zur lauten Straße hinausging, gewartet.
Fünfhundert Dukaten, dachte er, das ist ein kleines Vermögen.
Sicher verhandeln sie über irgend etwas, das mit dem Theater zu tun hatte, aber was?
Im einen Augenblick fürchtete er all das, was da kommen mochte, im nächsten hatte er Angst vor einer Enttäuschung.
Aber Caffarelli hatte ihm applaudiert! Nein, das war nur aus Höflichkeit der Contessa gegenüber geschehen. Tonio konnte sich auf nichts mehr einen Reim machen. Was hatte das alles zu bedeuten?
Kutschen kamen, fuhren wieder ab. Gäste blieben unten auf den Eingangstreppen stehen, lachten und umarmten einander.
Auf den Treppenstufen der Kirche gegenüber war im flackernden Schein der Fackeln undeutlich eine Gruppe von Lazzaroni zu sehen, die in dieser milden, köstlichen Nacht kein Schutz-dach brauchten und sich einfach unter freiem Himmel schlafen gelegt hatten.
Tonio verließ das Fenster und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
Die bemalte Uhr auf dem Kaminsims tickte. Bis zur Morgendämmerung waren es vielleicht noch drei Stunden. Aber er hatte sich noch nicht ausgezogen. Gewiß würde Guido zu ihm kommen.
Was war, wenn Guido mit der Contessa im Bett lag? Nein, das konnte Guido ihm nicht antun, nicht heute nacht. Außerdem hatte die Contessa versprochen, daß sie ihn holen würde,
»sobald alles geregelt ist«.
»Das muß nichts bedeuten«, sagte er sich jetzt zum x-ten Ma-le. »Dieser Ruggerio, nun, vielleicht ist er der Direktor irgendeines kleinen Theaters in Amalfi oder sonstwo, und man will dich zu irgendeiner Art von Test dorthinbringen... Aber für fünfhundert Dukaten?« Er schüttelte den Kopf.
Ganz gleich, wie sehr ihn das alles beunruhigte, konnte er doch nicht aufhören, an das blonde Mädchen zu denken. Von dem Schock, als er erfahren hatte, daß die junge Frau Witwe war, hatte er sich noch nicht ganz erholt. Er brauchte in seinen Gedanken nur einmal kurz innezuhalten, schon sah er sie vor sich, sah jenen Raum voller Gemälde, sah das Trauerkleid aus schwarzem Taft und ihr strahlendes kleines Gesicht.
Kein violettes Band, keine violetten Schleifen. Nur ihr kleiner Mund war diesmal violett. Sie war Witwe!
Es war dumm von ihm gewesen, so zu stottern und sie so anzustarren. Wie oft hatte er sich einen solchen Augenblick mit ihr herbeigesehnt. Sie war Witwe! Und als der Moment endlich gekommen war, was hatte er da getan?
Aber vielleicht, nur vielleicht, hatte sie ihn ja von irgendeinem ungestörten Winkel des Palazzo aus singen hören.
Nun, da er erfahren hatte, daß sie mit diesem alten Mann, den er immer für ihren Vater gehalten hatte, verheiratet gewesen war, sah er ihr ganzes Leben in einem neuen Licht. Er konnte sich lebhaft an ihre erste Begegnung erinnern, an ihre Tränen, die Ahnung eines tiefen Leides, in das er da, betrunken und unachtsam und von ihrem Liebreiz und ihrer Jugend verlockt, hineingestolpert war.
Sie war mit diesem alten Mann verheiratet gewesen, und jetzt war sie frei.
Er stand lauschend in diesem dunklen Schlafgemach, hörte Kirchenglocken schlagen, ein sanftes, feierliches Widerhallen.
Die kleine
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