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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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diesem Augenblick konnte er sich eines Lächelns nicht erwehren.
    Jetzt strahlte sie ihn an, ihre pausbackigen Wangen sahen aus wie kleine Blasebalge. Sie sang ihm zu, sang ihm zu, daß sie ihn liebte und daß er ihr Geliebter sein würde.
    Als sie dann ihr Eröffnungslied beendet hatte, herrschte unver-meintliche Stille. Da begann Tonio, vom Zirpen des Cembalos begleitet, zu singen.
    Sein Blick hielt den der Contessa fest. Er sah, wie sie ihn anlä-
    chelte und ihm ermutigend zunickte. Dann aber ließ er sich von der weichen hohen Flöte leiten, deren Töne sich mit seiner Stimme verwoben, während er mit ihr auf und ab sang, hoch und höher, dann wieder hinunter. Schließlich führte sie ihn durch eine Reihe von Passagen, die er mit Leichtigkeit bewältigte.
    Dennoch war es, als brauche er die Stimme der Contessa, und die Contessa schien das auch zu wissen. Als sie ihm nun antwortete, spürte er, wie er sich tatsächlich verliebte. Von den Streichern getragen, richtete er jetzt eine lebhaftere und schnellere Arie an sie, und es schien ihm dabei, daß selbst die poetischen Worte, die er ihr zusang, vollkommen der Wahrheit entsprachen.
    Seine Stimme verführte ihre Stimme, nicht nur, um eine Antwort zu erhalten, sondern auch, um jenen Augenblick herbei-zuführen, in dem sich ihrer beider Stimmen in einem einzigen Lied vereinen würden. Selbst seine leisesten, mattesten Töne sagten ihr das, und in ihren langsamen Passagen, die so dunkel schattiert waren, hallte dasselbe bebende Verlangen wider.
    Schließlich fanden sie sich im ersten Duett in solch sanfter Heiterkeit vereint, daß er begann, sich genau wie sie leise hin und her zu wiegen. Ihre schwarzen Augen strahlten vor Freude, ihre tiefen Töne verschmolzen auf vollkommene Weise mit seinen emporstrebenden Liebesbeteuerungen. Ein dritter Klang schien sich am Rande der beiden Stimmen zu erheben.
    Es war der strahlende Klang der Instrumente, der immer wieder anschwoll und verebbte, um ihre Stimmen ungehindert in die Höhe steigen zu lassen.
    Es war eine Qual, als er sich wieder von ihr lösen mußte, und ihre Stimme antwortete ihm mit demselben köstlichen Schmerz.
    Schließlich tanzten die Geigen wieder, ein Horn übernahm die Führung. Dies war der letzte Ruf nach ihr, seine letzte Aufforderung, mit ihm zu kommen, sich zu ihm zu gesellen, sich mit ihm emportragen zu lassen. Die Contessa beugte sich nach vorn, stellte sich auf die Zehenspitzen. Eine jede Faser ihres Körpers schien seine schwindelerregenden Höhenflüge nachzuvollziehen, bis sie sich beide in schnellem Tempo in das Abschlußduett stürzten.
    Ihre Stimme war nun mit seiner Stimme vermählt. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen schimmerten feucht. Ihr ganzer Körper hob und senkte sich beim Singen, während sich seine eigene Stimme aus seinen riesigen Lungen ungehindert in immer größere Höhe aufschwang und seinen schlanken Körper in Ruhe und Anmut hinter sich ließ.
    Es war vorbei.
    Es war zu Ende.
    Vor Tonios Augen nahm der Raum wieder Gestalt an. Caffarelli sprang auf und war der erste, der in stürmischen Applaus ausbrach.
    Die kleine Contessa stellte sich auf die Zehenspitzen, um Tonio einen Kuß zu geben. Sie nahm sein Gesicht in beide Hän-de und warf, als sie den unaussprechlich traurigen Ausdruck darin sah, die Arme um ihn und legte ihren Kopf an seine Brust.

    Alles geschah so schnell. Caffarelli hatte ihm seinen Arm um die Schultern gelegt und gestikulierte mit dem anderen, während er dem Publikum zunickte, um den Applaus immer wieder von neuem anzufachen. Von allen Seiten erhielt Tonio Komplimente - er hätte so wunderschön gesungen, und daß er die Contessas dazu gebracht hatte, mit ihm zusammen zu singen, war ein kleines Wunder. Seine Stimme sei ja so außergewöhnlich, aber warum hätten sie denn in all den Jahren in San Angelo nichts von ihm gehört. Außerdem: Wo war der Maestro bloß! (Er hätte dieses Libretto selbst nicht besser schreiben können.)
    Aber weshalb fiel es Tonio so schwer, sich das alles anzuhö-
    ren, warum empfand er den unwiderstehlichen Drang, von hier wegzukommen? Guidos Schüler, ja, Guidos Schüler, und was für eine wundervolle Komposition, dieser Guido, wo war er denn? Es hätte alles nicht perfekter sein können, dennoch fand er es fast unerträglich. Wenn nur Guido da wäre!

    »Wo ist Guido?« fragte er die Contessa flüsternd, sah dann aber Maestro Cavalla auftauchen. Doch bevor er dessen Gesichtsausdruck deuten konnte, war der Maestro auch schon

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