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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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das Mädchen reich genug war, um zu tun, was es wollte.
    »Bring sie doch mit nach Rom«, schlug Guido schläfrig vor.
    »Vielleicht findet sie ja hier einen passenden Ehemann.«
    »Es ist hoffnungslos«, sagte die Contessa. »Aber sie wird kommen. Sie würde um nichts in der Welt Tonios ersten Auftritt verpassen wollen.«

    Als er jetzt langsam den Korridor zu seinen Gemächern ent-langging, sah Guido unter seiner Zimmertür Licht hervorschei-nen. Zuerst war er froh darüber, dann aber fiel ihm wieder ein, welche Feindseligkeit zwischen ihm und Tonio herrschte. Ihm war ein wenig bange, als er den Türknopf drehte.
    Tonio war wach und voll angezogen. Er saß allein in einer Ek-ke und trank ein Glas Rotwein. Als Guido eintrat, blieb er zwar sitzen, hob aber den Kopf. In seinen Augen spiegelte sich das Licht.
    »Du hättest nicht auf mich zu warten brauchen«, sagte Guido beinahe scharf. »Ich bin müde und gehe zu Bett.«
    Tonio gab keine Antwort. Er erhob sich langsam und ging auf Guido zu, blieb dann ein kleines Stück entfernt stehen und sah zu, wie dieser seinen Umhang ablegte. Guido hatte nicht nach dem Kammerdiener geklingelt. Er war im Grunde nicht gern von Dienern umgeben, außerdem brauchte er beim Ausklei-den keine Hilfe.
    »Guido«, sagte Tonio vorsichtig flüsternd, »können wir dieses Haus verlassen?«
    »Was meinst du mit dieses Haus verlassen?«
    Guido zog die Schuhe aus und hängte seine Jacke auf einen Kleiderhaken. »Du könntest mir etwas Wein einschenken«, sagte er. »Ich bin sehr müde.«
    »Ich meine, dieses Haus verlassen«, wiederholte Tonio. »Ich meine, irgendwoanders wohnen. Ich habe genug Geld.«
    »Was soll das heißen?« fragte Guido in beißendem Ton. Aber da war wieder eine Spur jenes Entsetzens, das er unterschwellig schon seit Tagen verspürte. »Was ist los mit dir?«
    sagte er. Seine Augen waren schmal geworden.
    Tonio schüttelte den Kopf. Der Wein ließ seine Lippen glänzen. Sein Gesicht war abgespannt.
    »Was ist passiert? Antworte mir«, sagte Guido ungeduldig.
    »Warum willst du dieses Haus verlassen?«
    »Bitte sei mir nicht böse«, sagte Tonio langsam und betonte dabei jedes einzelne Wort.
    »Wenn du mir nicht sagst, wovon du überhaupt sprichst, dann prügle ich es aus dir heraus. Ich habe dich seit Jahren nicht mehr geschlagen, aber das wird mich jetzt nicht hindern«, sagte Guido, »wenn du nicht auf den Punkt kommst.«
    Er sah die Verzweiflung in Tonios Gesicht, sah ihn zurück-schrecken, er durfte jedoch nicht nachgeben.
    »Also gut, dann sage ich es dir, wie es ist«, meinte Tonio mit leiser Stimme. »Heute abend hat der Kardinal mich zu sich gebeten. Er sagte, er könne nicht schlafen. Er sagte, er brauche Musik, um sich zu beruhigen. In seinem Schlafzimmer stand ein kleines Cembalo. Er bat mich, ihm etwas vorzuspie-len und vorzusingen.«
    Er beobachtete Guido. Guido konnte die Worte kaum hören.
    Er malte sich diese Szene in Gedanken aus und spürte dabei eine unangenehme Wärme in der Brust.
    »Und dann?« wollte er ärgerlich wissen.
    »Es war nicht Musik, wonach er verlangte«, sagte Tonio. Es fiel ihm unendlich schwer, darüber zu reden, aber er fügte hinzu: »Allerdings bezweifle ich, daß er es selbst gemerkt hat.«
    »Und wie hast du es denn gemerkt?« wollte Guido barsch wissen. »Erzähl mir jetzt nicht, du hättest ihn abgewiesen!«
    Tonios Gesicht war vor Entsetzen ganz starr.
    Guido schlug aufgebracht die Hände zusammen, dann beschrieb er mit hastigen Schritten einen kleinen Kreis. Tonio stand da und sah ihn stumm und vorwurfsvoll an.
    »In was für einem Zustand hast du ihn zurückgelassen?« fragte Guido. »War er wütend? Was genau ist passiert?«
    Tonio konnte sich offensichtlich nicht zu einer Antwort durch-ringen. Er starrte Guido an, als hätte dieser ihn geohrfeigt.
    »Tonio, hör mir zu«, sagte Guido. Er schluckte. Er wußte, daß er nicht verraten durfte, welche Panik in ihm aufgestiegen war.
    »Geh zu ihm zurück und zeige um Himmels willen Nachsicht gegenüber seinen Wünschen. Wir befinden uns in seinem Haus, Tonio, er ist unser Mäzen. Er ist der Cousin der Contessa, und er ist ein Kirchenfürst ...«
    »Ein Kirchenfürst, ist er das?« sagte Tonio. »Zeige Nachsicht gegenüber seinen Wünschen! Was bin ich denn, Guido? Was bin ich?«
    »Du bist ein Junge, das bist du, und ein Kastrat«, sprudelte Guido heraus. »Es spielt für dich keine Rolle, es macht nichts aus, wenn du es tust! Aber es macht unglaublich viel aus, wenn du es nicht

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