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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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eine aufgeschlagene Partitur, tauchte seine Feder rasch in die Tinte und begann zu schreiben.
    Lange Zeit saß er danach da und starrte die Schriftzeichen auf dem Pergamentan. Er starrte die Feder in seiner Hand an.
    Schließlich legte er sie vorsichtig weg, so als wolle er nicht ein Stäubchen in der Luft aufrühren.
    Sein Blick wanderte über die Gegenstände im Raum. Den rechten Arm fest um die Taille gelegt, so als wolle er sich gegen einen schrecklichen Angriff wappnen, lehnte er den Kopf an die Rückenlehne des Stuhls und schloß die Augen.

    5

    Tonio stand vor der Tür des Kardinals.
    Er war zu der schmerzlichen Überzeugung gelangt, daß er sich das Ganze selbst zuzuschreiben hatte. Er wußte nicht genau, warum, aber er hatte das Gefühl, daß er einen Fehler gemacht hatte.
    Als der alte Nino vorhin zu ihm gekommen war und ihm gesagt hatte, der Kardinal könne nicht schlafen, hatte Tonio angesichts der Tatsache, daß dieser große Mann nach ihm schickte, eine undefinierbare Erregung verspürt.
    Das Verhalten des Dieners, der herbeigeeilt war, um Tonio dabei zu helfen, seinen Rock auszuziehen, und ihm dann einen anderen, der üppig bestickt war, zu reichen, war ihm ein wenig merkwürdig vorgekommen. Die Gesten des alten Mannes hatten etwas Verstohlenes an sich gehabt, so als müsse er aus irgendeinem Grund auf Zehenspitzen gehen, als müsse er sich beeilen, als dürften sie beide nicht gesehen werden.
    Aus seiner Jackentasche hatte Nino einen alten Kamm gezogen, dem schon ein paar Zähne fehlten, damit Tonio sich noch rasch kämmen konnte.

    Tonio hatte zuerst gar nicht bemerkt, daß er sich in einem Schlafzimmer befand. Er hatte nur die Tapisserien an den Wänden gesehen: antike Gestalten, die durch eine Landschaft dahinjagten, während zwei Dutzend kleiner Tiere zwischen Blumen und Blättern eingewoben waren. Das Kerzenlicht zeigte merkwürdig abstrahierte Gesichter, Männer und Frauen zu Pferd, die aus den Augenwinkeln ins Zimmer starrten.
    Als nächstes hatte er das Cembalo entdeckt, ein kleines, trag-bares Instrument mit einem einzigen Manual aus schwarzen Tasten. Der Kardinal stand dahinter. Er kam Tonio vor wie eine Anhäufung leiser Bewegungen und Geräusche. Er trug eine Robe, deren Farbe sich im Lichte der wenigen Kerzen zwischen den üppigen Wandbehängen kaum von der Dunkelheit unterschied.

    Tonio hörte gar nicht richtig, was der Kardinal zu ihm sagte. Er verspürte in seinem Körper ein Pulsieren, er hatte das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, obwohl er nicht wußte, warum. Ein Satzfetzen war in sein Bewußtsein gedrungen, der Kardinal hatte irgend etwas über ein Lied und die Macht des Gesangs gesagt. Es hatte den Anschein, als wollte der Kardinal, daß Tonio etwas sang.
    Tonio setzte sich. Er berührte die Tasten. Das Cembalo besaß einen perlenden Klang von äußerster Zartheit und Reinheit.
    Dann begann er mit einer Arie, die eine von Guidos süßesten und traurigsten Stücken war. Es war eine Meditation über die Liebe und entstammte einer Serenade, die noch nie öffentlich aufgeführt worden war. Tonio mochte sie lieber als die ungestümeren Stücke, die Guido in letzter Zeit für ihn geschrieben hatte. Der Text, der von einem unbekannten Dichter stammte, verwendete die Sehnsucht nach dem Geliebten als Bild für das Sehnen nach dem Spirituellen. Tonio mochte diesen Text sehr gern.
    Während er sang, hatte er einmal aufgeblickt. Er hatte in dem einzigartigen Gesicht des Kardinals mit seiner beinahe wie geschnitzt wirkenden Vollkommenheit jene lebendige Empfind-samkeit gesehen, die diesen Mann so auffallend und anziehend machte. Der Kardinal sagte kein Wort, doch war seine Freude offensichtlich. Tonio merkte, daß er versuchte, dieses Lied so gut zu singen, wie er nur konnte. Während er für diesen Mann sang und spielte, empfand er so etwas wie eine angenehme Erinnerung, ein vertrautes Wohlgefühl.
    Als er geendet hatte, war er sitzengeblieben und hatte überlegt: Was kann ich noch singen, um den Kardinal zu erfreuen?
    Als dann der Kardinal höchstpersönlich einen juwelenbesetzten Becher mit Burgunder vor ihn hinstellte, merkte er erst, daß sie ganz allein waren.
    »Euer Gnaden, Sie gestatten.« Er hatte sich erhoben, als er sah, daß der Kardinal sich ebenfalls einen Becher einschenken wollte.
    Als er seine Hand nach dem Henkelkrug mit dem schmalen Hals ausstreckte, hatte der Kardinal sie ergriffen und ihn zu sich gezogen, bis sie aneinandergepreßt dastanden und er den Herzschlag des

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