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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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tust! Hast du das denn nicht kommen sehen? Bist du wirklich so blind? Tonio, du ruinierst mich mit deiner Halsstarrigkeit, deinem Stolz. Ich komme dagegen nicht an. Du mußt jetzt wieder zum Kardinal gehen.«
    »Ich ruiniere dichl« sagte Tonio. »Du sagst mir, ich solle zu ihm gehen und tun, was er wünscht, so als wäre ich nur eine Hure von der Straße.«
    »Aber du bist keine Hure. Wenn du eine Hure wärst, dann wärst du nicht in diesem Haus, du würdest nicht vom Kardinal verköstigt werden und ein Dach über dem Kopf erhalten. Du bist ein Kastrat. Gib ihm um Himmels willen, was er will. Ich würde es ohne Zögern tun, wenn er es von mir haben wollte.«
    »Du machst mir angst«, flüsterte Tonio. »Du widerst mich an.
    Es gibt kein anderes Wort dafür. Man hat dich aus Kalabrien geholt und dich in Samt und Seide gesteckt. Auf diese Weise siehst du zwar aus wie ein feiner Herr, in Wirklichkeit aber bist du ein gedankenloses, seelenloses Wesen, das vor nichts zurückschreckt, um seine Ziele durchzusetzen. Du besitzt kein Ehrgefühl, keinen Glauben, keinen Anstand. Du willst mir meinen Namen nehmen, du willst mir meine Gestalt nehmen, und all das im Namen der Musik und weil es unbedingt sein muß.

    Und jetzt schickst du mich im Namen derselben Notwendigkeit ins Bett des Kardinals...« »Ja, ja, ja!« sagte Guido. »All das befehle ich dir. Mach nur einen Dämon aus mir, wenn es dir gefällt. Ich sage dir, die Prinzipien, die du über alles stellst, sind zwar schön und gut, aber bedeutungslos. Du bist nicht an Regeln gebunden. Du bist ein Kastrat. Du kannst diese Dinge tun.«
    »Und was ist mit dir«, wollte Tonio in demselben Flüsterton wissen, »was bedeutet es dir, wenn ich bei ihm liege?« Es war, als wagte er nicht, die Stimme zu erheben. »Fühlst du denn gar nichts?«
    Guido drehte ihm den Rücken zu.
    »Du schickst mich aus deinem Bett in das seine«, fuhr Tonio fort, »als wäre das nichts als ein Geschenk für Seine Eminenz, Dankbarkeit gegenüber Seiner Eminenz, Respekt.«
    Guido schüttelte lediglich den Kopf.
    »Besitzt du denn gar kein Ehrgefühl, Guido?« flehte Tonio leise. »Haben sie dir das in Kalabrien herausgeschnitten? Mir jedenfalls nicht.«
    »Ehrgefühl, Ehre.« Guido drehte sich müde zu ihm um. »Was ist denn ehrlos daran, wenn du diesem Mann gibst, worum er dich bittet, und wenn es dich nicht im geringsten herabsetzt?
    Du bist ein Festmahl, an dem er sich, solange du unter seinem Dach wohnst, einmal, vielleicht zweimal satt essen wird. Wieso soll dich das verändern? Wenn du ein Mädchen wärst, eine Jungfrau, dann könntest du so argumentieren, aber dann hätte er dich auch niemals darum gebeten. Er ist ein heiliger Mann.
    Und wenn du ein Mann wärst, dann könntest du sagen, daß es dich beschämt, eine solche Veranlagung zugeben zu müssen, oder aber du könntest behaupten, daß dich so etwas abstößt!
    Aber du bist keines von beidem. Du bist frei, Tonio, frei. Es gibt Männer und Frauen, die in jeder Nacht ihres Lebens von solcher Freiheit träumen! Sie gehört dir aufgrund deiner Natur, und du wirfst sie einfach weg. Und er, um Himmels willen, er ist ein Kardinal. Ist das, was Gott dir geschenkt hat, so kostbar, daß du es für jemanden aufsparen mußt, der besser ist als er!«
    »Hör auf damit«, beharrte Tonio.

    »Als ich dich das erste Mal genommen habe«, sagte Guido,
    »war das auf dem Boden meines Übungszimmers in Neapel.
    Du warst allein und hilflos, ohne Vater, Mutter, Verwandte, Freunde. Wo war da damals die Ehre?«
    »Da war Liebe«, sagte Tonio. »Und Leidenschaft.«
    »Dann liebe ihn! Er ist ein großer Mann. Die Leute stehen stundenlang vor den Toren und warten, nur um ihn vorbeifahren zu sehen. Geh und liebe ihn eine kleine Weile, dann wird sich auch die Leidenschaft einstellen.«
    Guido drehte ihm abrupt wieder den Rücken zu.
    Das Schweigen war unerträglich. Ohne daß es ihm bewußt war, hielt er den Atem an.
    Er hatte das Gefühl, der Zorn hätte ihn aufgebläht, häßlich gemacht. Es schien ihm, als bräche nun all der Schrecken, der stets drohend im Hintergrund gelauert hatte, seit sie nach Rom aufgebrochen waren, mit voller Macht über ihn herein. Er konnte sich nicht dagegen wehren.
    Inmitten dieser Angst, dieser Verwirrung jedoch begann er zu begreifen.
    Als er hörte, wie sich die Tür öffnete und wieder schloß, kam es ihm so vor, als hätte ihn ein Schlag zwischen den Schultern getroffen.
    Abrupt ging er zu seinem Schreibtisch.
    Er setzte sich vor

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