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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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dabei, seinen Geliebten aufzusuchen. Es lag etwas Süßes und Geheimnisvolles darin, die große Strecke kalten Bodens zu über-queren, Türen zu öffnen, sich jenem Bett zu nähern.
    Jetzt legte er die Gänsefeder weg und starrte auf die Blätter vor sich. Warum war alles, was er schrieb, so flach, ohne die leiseste Inspiration? Bald mußte er seiner Oper ihre endgültige Form geben. Den ganzen Abend hatte er die Libretti von Metastasio gelesen, der jetzt groß in Mode und glücklicherweise ein gebürtiger Römer war, aber er konnte immer noch keine Handlung finden, nicht, bevor er nicht jenen letzten Sieg er-rungen hatte, den zu erringen heute nacht keine Aussicht bestand.
    Aber das war es gar nicht, was seine Gedanken im Augenblick beschäftigte. Er hatte Verlangen nach Tonio.
    Er ließ seine Leidenschaft langsam immer stärker werden.
    Er summte vor sich hin, fuhr sich mit den Fingerknöcheln an den Lippen entlang, ließ sich von Wachträumen reizen.
    Dann tappte er leise durchs Zimmer. Tonio schlief fest. Das Haar war ihm in lockeren Strähnen über die Augen gefallen, sein Gesicht war so schön und anscheinend leblos wie Mi-chelangelos verschmelzende weiße Gestalten. Als Guido sich über ihn beugte, die Hand unter die Decke schob, um ihn hochzuheben, und ihn küßte, spürte er, daß sein Gesicht warm war. Tonio schlug die Augen auf, er stöhnte, schien eine Weile nichts zu sehen, wand sich. Er fühlte sich so heiß an wie ein Kind, das fiebert. Sein Mund öffnete sich, um Guido zu empfangen.
    Danach lagen sie eng umschlungen in der Dunkelheit da. Guido bemühte sich, wach zu bleiben, da er nicht zulassen durfte, daß man ihn in Tonios Bett fand.
    »Gehörst du immer noch ganz und gar mir?« flüsterte er, wobei er halb erwartete, nur Schweigen zu ernten.
    »Ganz und gar«, antwortete Tonio schläfrig. Es schien nicht seine Stimme zu sein, sondern die Stimme eines Wesens, das in seinem Innern schlief.
    »Hat es da nie jemand anderen gegeben?«
    »Niemanden.«
    Tonio räkelte sich, schlang seinen Arm um Guido, so daß er sich an dessen Brust schmiegen konnte. Tonios glatter heißer Bauch war an Guidos Geschlecht gepreßt. Guido spürte jenes feine schwarze Haar, dessen Beschaffenheit ihn immer wieder erstaunte.
    »Und fragst du dich nicht manchmal, wie das wäre?« fragte er langsam. »Mit einem Mann? Einer Frau?«
    Er schloß die Augen und wäre fast eingeschlummert, als er, ebenso leise wie vorher, die Antwort hörte.
    »Niemals.«

    4

    Es war sehr spät, als Guido heimkam.
    Im Palazzo war es vollkommen still, da der Kardinal früh zu Bett gegangen zu sein schien. Nur in den unteren Räumen brannten noch ein paar Lichter. Die Korridore erstreckten sich in fahler Dunkelkeit, die weißen Skulpturen - antike Götter und Göttinnen - gaben ein gespenstisches Leuchten von sich.
    Guido war erschöpft, als er die Treppe hinaufstieg.
    Er hatte den Nachmittag bei der Contessa in ihrer Villa am Stadtrand von Rom verbracht. Sie war angereist, um einige Vorbereitungen für die Einweihung des Hauses zu treffen, die später im Jahr stattfinden würde. Jetzt wollte sie nur ein paar Tage bleiben, um dann noch vor Weihnachten zurückzukehren und die Opernsaison hier zu verbringen.
    Sie tat das für Guido und Tonio, da sie sich eigentlich viel lieber im Süden aufhielt. Guido war ihr dankbar, daß sie beschlossen hatte, zu ihnen zu kommen.
    Als er jedoch sah, daß sie vielleicht keine Gelegenheit haben würden, heute miteinander allein zu sein, war er wütend und beinahe grob geworden.
    Die Contessa war überrascht gewesen, hatte aber Verständnis gezeigt und war mit Guido gemeinsam zu jenem Palazzo zu-rückgekehrt, in dem sie als Gast wohnte. Als sie erst einmal zusammen im Bett lagen, erstaunte es sie beide, wie sehr er nach ihr hungerte.
    Sie hatten nie darüber gesprochen, aber sie war diejenige, die bestimmte, wie ihr sexuelles Beisammensein ablief. Die Contessa hatte es stets genossen, Guido furchtlos und liebevoll mit Händen und Mund zu erregen und steif zu machen. Im Grunde aber behandelte sie Guido wie ihr Eigentum. Sie liebkoste ihn besitzergreifend und stieß dabei leise Seufzer aus, als wäre er etwas unendlich Verlockendes und jemand, vor dem sie nicht die leiseste Furcht empfand.
    Guido gefiel diese Aufmerksamkeit, denn fast jedermann sonst hatte Angst vor ihm.

    Im Grunde war er sich jedoch bewußt, daß sie für ihn etwas rein Symbolisches war. Sie war Frau, und Tonio war Tonio, in den er unglücklich verliebt

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