Falsetto
war.
An diesem Nachmittag jedoch benahm er sich ein wenig wie ein Tier. Das neue, ungewohnte Schlafzimmer, sein merkwürdiges Verhalten und die Tatsache, daß sie eine kleine Weile voneinander getrennt gewesen waren, all das wirkte zusammen, um ihr Liebesspiel besonders einfallsreich ausfallen zu lassen.
Danach blieben sie noch eine Weile im Bett. Sie tranken Kaffee, einen kleinen Likör, und sie unterhielten sich.
Im stillen fragte Guido sich, warum er und Tonio so im Streit miteinander lagen. Die Auseinandersetzung, die sie an diesem Morgen wegen der Frauenrolle gehabt hatten, hatte einen häßlichen Höhepunkt erreicht, als Guido den Vertrag hervor-gezogen hatte, den Tonio und Ruggerio unterzeichnet hatten.
Dort stand ganz klar, daß Tonio als Primadonna engagiert war. Tonio, der das Papier beiseite geschoben hatte, hatte sich verraten gefühlt.
Guido hatte bei ihm jedoch erste Anzeichen dafür entdeckt, daß er vielleicht bald aufgeben würde. Nur wenige Augenblik-ke später war er allerdings wieder zornig geworden, weil Tonio darauf bestanden hatte, keinen Bühnennamen anzunehmen.
Er würde unter dem Namen Tonio Treschi auftreten. Wenn die Zuschauer unbedingt einen Vornamen brauchten, dann konnten sie ihn ja Tonio nennen.
Guido war wütend. Warum wollte Tonio derart gegen die Regeln verstoßen? Man würde Tonio vorwerfen, er wäre hochmütig. Die meisten Leute würden nicht glauben, daß er ein venezianischer Patrizier war! War ihm das denn nicht klar? Sie würden das Ganze für bloße Affektiertheit halten.
Tonio war sehr verletzt.
Nach einer Weile sagte er leise: »Es ist mir gleich, was die Leute glauben. Es hat nichts mit irgendwelchem Stolz auf meine adelige Geburt zu tun. Mein Name ist Tonio Treschi.
Das ist alles.«
»Also gut, aber du wirst die Rolle spielen, die ich für dich schreibe«, hatte Guido gesagt. »Du bekommst eine ebenso hohe oder sogar höhere Gage als erfahrene Sänger. Man hat dich hierhergeholt, um einen weibliche Rolle zu übernehmen.
Dein Name, lautet er nun Tonio Treschi oder anders, wird, obwohl du bis jetzt noch ein Niemand bist, in großen Buchstaben auf den Plakaten stehen. Es sind nicht zuletzt auch deine Jugend und dein Aussehen, die das Publikum ins Theater lok-ken werden, und das Publikum erwartet, dich in Frauenkleidern zu sehen.«
Nachdem er das gesagt hatte, hatte er Tonio nicht mehr ins Gesicht sehen können.
»Das glaube ich nicht«, hatte Tonio leise erwidert. »Seit drei Jahren erzählst du mir, daß die Römer die strengsten Kritiker sind. Jetzt sagst du, daß sie einen Jungen in Röcken sehen wollen. Hast du je alte Stiche von Folterinstrumenten gesehen? Eiserne Masken und Handfesseln, äußerst qualvolle Gewandungen? Genau das würden Frauenkleider für mich sein, und du sagst: ›Zieh sie an.‹ Ich werde es nicht tun.«
Guido war das zu hoch. Es entmutigte ihn stets, wie kompliziert Tonio dachte. Er selbst hatte, bevor er achtzehn geworden war, Dutzende Male Frauenrollen verkörpert.
Wie konnte jemand das Singen so lieben, wie Tonio es tat, wie konnte jemand die Bühne so lieben wie er und sich trotzdem weigern, alles zu tun, was erforderlich war?
Davon hatte er der Contessa jedoch nicht erzählt.
Das Schlimmste daran, nämlich daß er sich gegenüber Tonio so kalt zeigte und er sich ärgerte, daß dieser das geduldig hinnahm, konnte er ihr nicht anvertrauen.
Statt dessen hatte er der Contessa zugehört, die eigene Probleme hatte.
Es war ihr nicht gelungen, die Witwe ihres sizilianischen Cousins, die hübsche kleine Engländerin, die so wunderbar malte, zu überzeugen, eine erneute Heirat in Betracht zu ziehen.
Die junge Frau wollte nicht nach England zurückkehren, sie wollte sich auch nicht nach einem neuen Ehemann umsehen.
Sie wollte statt dessen als Malerin arbeiten.
»Ich habe sie immer gemocht«, murmelte Guido abwesend. Er dachte gerade an Tonio. »Und sie ist wirklich begabt. Nun, sie malt wie ein Mann.«
Die Contessa konnte nicht begreifen, daß eine Frau den Wunsch haben konnte, ein eigenes Atelier zu besitzen oder in Palästen und Kirchen mit dem Pinsel in der Hand auf Gerü-
sten herumzuklettern.
»Du wirst sie doch aber nicht im Stich lassen, oder?« fragte Guido sanft. Das Mädchen war noch so jung.
»Lieber Himmel, nein«, sagte die Contessa. »Sie ist immerhin verwandt mit mir. Abgesehen davon war mein Cousin siebzig, als er sie geheiratet hat. Dafür schulde ich ihr einiges.«
Mit einem Seufzen bemerkte sie dann, daß
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