Falsetto
wichtig.
Wichtig war dagegen, zu vollenden, was er angefangen hatte.
Außerdem wartete diese Frau auf ihn und glaubte offensichtlich, daß sie ihm behilflich sein müsse. Ihre Dienstmädchen huschten durch das Zimmer und regten geschäftig ihre kleinen braunen Hände, sammelten hier ein Stück Band ein, dort einen Faden, rückten eine Perücke auf ihrem hölzernen Kopf zurecht. Plötzlich belustigte es ihn, daß sie erwartete, er solle sich hier seiner Männerkleidung entledigen und ihr seine Gliedmaßen entgegenstrecken, als wäre sie seine Amme.
Er stützte sich auf den Ellbogen, sah sein Spiegelbild in der verdunkelten Fensterscheibe. Sein Gesicht kam ihm meistens merkwürdig ausdruckslos vor, ganz gleich, wie bizarr seine Gedanken auch waren. Es war, als hätte ihn die weiche feminine Haut, die er bekommen hatte (wenn man sie zwischen zwei Finger nahm und kniff, dann war sie so elastisch wie die einer Frau), seiner Ausdruckskraft beraubt, hätte ihm ewige Jugend verliehen.
Wie soll ich dieses Kleid demnächst ohne fremde Hilfe anziehen, dachte er gerade. Wie schließt man dieses Mieder, wie legt man diese Röcke an? Soll ich das Ganze zum Palazzo des Kardinals zurücktragen und es jenem zahnlosen alten Mann übergeben, der, selbst wenn er in irgendeiner engen Hütte in einer Seitengasse ein Dutzend Kinder gezeugt hat, nichts von der Kleidung einer Frau versteht?
Es war heiß in diesem Zimmer, Straßengeräusche drangen durch die geschlossenen Fensterläden herein, Streifen grauen Lichts lagen auf diesem üppigen Rock.
Sie schien sein Zögern zu spüren, klatschte in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen, und schickte ihre Mädchen hinaus.
»Signore...« Sie trat auf ihn zu, griff nach seinem Umhang. Er spürte, wie dessen Gewicht von seinen Schultern gehoben wurde. »Ich habe die berühmtesten Sänger der Welt einge-kleidet«, sagte sie. »Ich machte nicht einfach nur Kleider! Ich schaffe Illusionen. Erlauben Sie mir, es Ihnen zu zeigen, Signore. Wenn Sie wieder in diesen Spiegel sehen, dann werden Sie Ihren Augen nicht trauen. Sie sind sehr schön, Signore, Sie sind derjenige, von dem ich träume, wenn ich mit meiner Nadel hantiere.«
Tonio gab ein leises, trockenes Lachen von sich.
Er erhob sich vor ihr zu seiner vollen Körpergröße und lächelte in ihr runzeliges, kleines braunes Gesicht hinunter. Ihre Augen sahen aus wie zwei kleine Apfelkerne, die man geradewegs aus dem Mund genommen hatte, so daß sie immer noch glänzend und naß waren.
Sie nahm ihm seinen Rock ab und legte ihn fast liebevoll beiseite, wobei sie mit der Hand über den Stoff strich, so als wolle sie jemanden, der ihn kaufen wollte, auf seinen Wert hinwei-sen.
»Die Hose auch, Signore. Das ist wichtig.« Sie gestikulierte, als sie seinen Widerstand spürte. »Sie müssen mich in dieser Angelegenheit als Ihre Mamma betrachten. Wenn Sie sich als Frau geben wollen, dann müssen Sie sich auch untendrunter wie eine Frau fühlen, verstehen Sie?«
»Nicht eher wie ein Zentaur, Signora?« fragte er leise. »Jederzeit in der Gefahr, meine Rüschen mit den Füßen herunterzu-trampeln und unter den zarten Jungfrauen in der ersten Reihe Panik ausbrechen zu lassen?« Er zitterte.
Sie lachte. »Sie haben eine spitze Zunge, Signore«, sagte sie, als sie seine Strümpfe und seine Schuhe entgegennahm. Er atmete lange und tief ein, schloß dabei halb die Augen.
Dann stand er still da, empfand seine Nacktheit, als wäre die Luft kalt, obwohl sie das nicht war. Als sie zu ihm hintrat, be-rührte sie ihn so vorsichtig, als wäre er ebenso zart wie feiner Stoff, während sie ihm das weite Reifrockgestell anlegte und die Bänder hinten zuband. Das Gestell schwang hin und her, als sie dann die Unterröcke darüber fallen ließ. Dann kam die violette Seide voller winziger rosa Blüten. Vollkommen, vollkommen. Und dann die üppige Spitzenbluse, die sie vorne geschickt zuknöpfte.
Jetzt hantierte sie langsamer. Sie schien zu spüren, daß dieses gepolsterte Mieder, diese Rüstung, ein entscheidender Schritt war. Es hatte einen weiten Ausschnitt und Ärmel, die in einem dunkleren Violett gehalten waren und mit einem regel-rechten Sturzbach von Rüschen abschlossen. Dann hielt sie es hoch, ließ ihn seine Arme hindurchstecken und schloß es zuerst an der Taille.
»Ah, Sie sind die Antwort auf meine Gebete«, sagte sie, als sie den Haken schloß. Zum ersten Mal spürte er die Fisch-beinstäbchen, die dort eingenäht waren. Er spürte, wie das Mieder
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