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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ihm in die Arme schließen.
    Bei der Berührung jener Finger spürte er, wie etwas in ihm erwachte, obwohl er, wie schon zuvor auch, dagegen an-kämpfte. Frei, dachte er bitter. Wenn er könnte, würde er selbst jetzt noch wegrennen, um sich in Guidos Armen zu ver-stecken. Er hatte das Gefühl, als ginge etwas kaputt in ihm, etwas, das er lange Zeit verzweifelt beschützt hatte. Dennoch wich er nicht zurück. Er blickte hinunter in das verzückte Gesicht des Kardinals, er blickte in seine Augen und verspürte den Wunsch, jene glatten Lider und die farblosen Lippen zu berühren.
    Der Kardinal litt jedoch stumme Qualen. Seine Leidenschaft schien ihn innerlich zu zerreißen, doch er schaffte es nicht, Tonio von sich wegzustoßen.
    »Ich habe bislang zu wenige fleischliche Sünden begangen, um andere belehren zu können«, murmelte er halbherzig, so als dächte er über sich nach. Es lag kein Stolz in dem, was er sagte. »Du hast mich beschämt, und das zu Recht. Warum also bist zu zurückgekommen?«
    »Euer Gnaden, kommen wir wegen ein paar Umarmungen in die Hölle? Ist das Gottes Wille?« fragte Tonio.
    »Du bist der Teufel mit dem Gesicht eines Engels«, sagte der Kardinal, wobei er leicht zurückwich. Doch Tonio konnte hö-
    ren, wie sein Atem schwer und stoßend ging. Er sah, wie der Kardinal mit sich kämpfte.
    »Euer Gnaden, ist das wirklich so?« Tonio ließ sich langsam auf ein Knie herab. Er blickte dem Kardinal jetzt in die Augen.
    Welch erstaunliche Beschaffenheit dieses Gesicht doch be-saß. Es war das Gesicht eines Mannes, ein Gesicht, bei dem die Altersfältchen auf ganz bestimmte Stellen beschränkt, aber doch ganz tief eingegraben waren. Das spitze Kinn war rauh.
    Die Augen hatten etwas Weiches an sich, ohne daß dabei aber die Klarheit des Blickes gemildert worden wäre. »Euer Gnaden«, flüsterte Tonio. »Da man mir so viel weggeschnitten hat, habe ich oft gedacht, die Fleischeslust wäre der Ursprung von allem.«
    Eine hilflose Verwirrung überfiel den Kardinal. Tonio schwieg, erstaunt darüber, von seinen eigenen Lippen ein solches Be-kenntnis zu hören. Was hatte dieser Mann an sich, daß er ihm so etwas sagte?
    Der Kardinal hielt seinen Blick auf ihn geheftet, so als müsse er verstehen. Wie falsch Tonio ihn doch eingeschätzt hatte.
    Dieser Mann war unschuldig, wirklich unschuldig, und er verlangte verzweifelt danach, geführt zu werden.
    »Ich habe genug für uns beide gesündigt«, sagte der Kardinal ohne Überzeugung. »Geh jetzt und laß mich meinen Kampf um Gott und mit mir selbst gewinnen.«
    »Aber werden Sie nicht trotzdem der Verlierer sein, Euer Gnaden?«
    »Ach nein«, flehte der Kardinal, gleichzeitig jedoch zog er Tonio näher zu sich heran, hielt ihn fest.
    »Euer Gnaden«, drängte Tonio, »möge Gott mir vergeben, wenn ich Unrecht habe, aber ist es nicht wahr, daß diese Sün-de bereits begangen wurde? Daß wir in unserer Leidenschaft, die wir füreinander empfinden, bereits verdammt sind? Sie haben nicht nach Ihrem Beichtvater geschickt, ich habe keinen. Wenn wir in diesem Augenblick sterben sollten, dann würden wir ebenso sicher in der Hölle brennen, als hätten wir den Akt bereits begangen. Nun, wenn das so ist, Euer Gnaden, dann lassen Sie mich Ihnen jenes kleine Stück vom Himmel schenken, das für uns noch erreichbar ist.«
    Er berührte das Gesicht des Kardinals mit seinen Lippen und empfand dabei den unvermeidlichen Schock, den die Begegnung mit der fremden Haut ihm bereitete. Ein Mensch, den er nicht kannte, wandte sich ihm zu, öffnete die Arme. Als sich der Kardinal erhob und sie sich gegenüberstanden, als Tonio ihn umarmte, spürte er die Härte eines Körpers, wie er ihm noch nie begegnet war.
    Sein Verlangen machte ihn schwach. Wäre es notwendig gewesen, dann hätte er plötzlich darum gebettelt.

    Das Feuer dieses Mannes entflammte auch ihn.
    Es erschien ihm, als würde er den Kardinal zum Bett führen.
    Er holte die Kerzen, stellte sie daneben und löschte sie alle bis auf eine aus. Während er verträumt diese eine Flamme ansah, in deren Licht sein Schatten an der Wand hin- und hersprang, spürte er, wie der Kardinal begann, ihn auszuziehen.
    Der Kardinal ging langsam vor, Tonio half ihm nicht. Er blickte ins Zentrum seines Begehrens, spürte, wie sein Entsetzen nachließ. Wie aus großer Entfernung sah er seine Kleidung zu Boden fallen und merkte, wie der Blick des Kardinals über ihn hinwegwanderte. Er hörte ihn mit kaum vernehmbarer Stimme flüstern: »Es

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