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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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kindliche Frische, das Gesicht mit seinen glatten, ein wenig schräg nach unten verlaufenden Lidern und den gesenkten Mundwinkeln war dabei aber so majestätisch wie eh und je.
    »Ich wurde dafür schon vor langer, langer Zeit verdammt«, flü-
    sterte Tonio und schlummerte sofort wieder ein.
    Als er das nächste Mal erwachte, hatte der Himmel jenseits der Dächer ein dunkles Rosa angenommen, während die Wol-kenstreifen ihn über und über mit Gold äderten. Schwache, entfernte Gänserufe lagen in der Luft, irgendwo brüllten Kühe.
    Als ein Hahn krähte, schien das Zimmer entzweizubrechen, so daß der ganze Brokat und Lack dort in sich zusammenfiel und so schäbig wirkte wie die mit einer Staubschicht überzogenen Waren im Hinterzimmer eines Tuchhändlers. In den ersten Sonnenstrahlen, die auf den Teppich fielen, schwebten kleine Staubteilchen. Jeder Luftzug brachte den Geruch frisch umge-brochener Erde mit. Er überlagerte den Duft von Weihrauch und Wachs, der vorher im Zimmer vorgeherrscht hatte.
    Tonio erhob sich sofort. Er fragte sich, warum ihn der Kardinal nicht fortgeschickt hatte. Es erschien Tonio überaus gütig und freundlich von ihm. Aber der Kardinal lag in seinen Kissen und schlief. Selbst jetzt streckte er träge den Arm nach der warmen Mulde aus, die Tonio eben verlassen hatte.
    Tonio zog sich still an und machte sich auf den Weg durch die düsteren grauen Flure.

    Als er Guidos Schlafzimmer betrat, sah er, daß Guido an seinem Schreibtisch eingeschlafen war. Er hatte das Gesicht in der Armbeuge vergraben. Die einzige Kerze, die gebrannt hatte, war in ihrem eigenen Wachs ertrunken.

    Lange Zeit starrte Tonio den gebeugten Kopf an, die dichten, staubigen Locken. Dann weckte er Guido auf. Guido fuhr zusammen, erhob sich dann langsam und ging unbeholfen zu seinem Bett. Der alte Nino kam leise ins Zimmer, zog Guido die Schuhe aus und deckte ihn zu.
    Tonio stand da und starrte ihn an, dann drehte er sich um und ging in seine eigenen Gemächer.
    Er schloß die Augen und spürte wieder, wie er die Arme um den Kardinal geschlungen, wie er sein Gesicht an diesen mageren und steifen Körper gepreßt hatte, spürte den inneren Aufruhr darin, spürte erneut diese grobe und dennoch perfekte Haut. Sein Mund öffnete sich wieder jenen Geheimnissen, bis er es nicht länger ertragen konnte und im Zimmer auf und ab zu gehen begann.
    Ein bestimmter Rhythmus packte ihn und zwängte ihn in eine Kreisbahn, bis er schließlich das Fenster aufriß und sich weit hinauslehnte, so daß er die frische Luft in sich einsaugen konnte. Ein runder Springbrunnen glitzerte unter ihm. Das Wellenmuster im Wasser fesselte ihn, bis er merkte, daß er von hier aus das Plätschern gar nicht hören konnte.
    Es würde zwischen ihm und Guido nie mehr so wie früher sein!
    Aber Guido hatte das sicher gewußt. Was hatte Guido getan?
    Tonio hatte mit seinem Geliebten zusammen in einem verschlossenen Zimmer gelebt, aber Guido hatte ihn hinausge-schickt. Er hatte ihm die Tür geöffnet. Alle die freundliche Vielschichtigkeit, die verletzende Zärtlichkeit war verblaßt und hatte ihn leer zurückgelassen. Plötzlich konnte er nichts mehr davon heraufbeschwören, da war nichts mehr, das ihn beruhigt oder getröstet hätte. Es war Vergangenheit, schien bereits eine Ewigkeit zurückzuliegen. Das Feuer des Kardinals hatte ihn zu sehr verbrannt.
    Er hätte gerne geweint, aber selbst dazu war er zu müde und zu leer. Trotz der wärmenden Morgensonne fröstelte er.
    Rom schien weniger ein Ort als eine Vorstellung zu sein, als er am Fenster kniete, die Stirn gegen das Fensterbrett gepreßt.
    »Was ist es, das ich daraus lernen soll?« hatte der Kardinal gefragt.
    Nun, was ihn selbst anging, so wußte er, was er daraus lernen sollte: Er war dabei, Guido zu verlieren. Er hungerte nach dem Kardinal, nach jener zermalmenden Leidenschaft, und wußte gleichzeitig, daß er alles tun würde, um zu verhindern, daß Guido das erfuhr. Das Schwierige daran war, Guido zu finden, indem er ihn verlor, und ihn so auf immer in einer neuen Umarmung zu halten.

    6

    Er war schläfrig geworden, seit er in diesem Zimmer saß. Der Duft, der in der Luft hing, und das Licht erinnerten ihn an einen anderen engen Raum voller Stoffe und künstlicher Edelsteine, in dem er sich einst aufgehalten hatte. Er war dort allein gewesen und hatte eine köstliche Sonnenwärme auf seinen blanken Schultern und seinem Rücken gespürt.
    Aber er verdrängte die Erinnerung daran. Es war nicht

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