Falsetto
verbeugen?
Oder sollte er irgendwie beides gleichzeitig bewerkstelligen?
Tonio konnte spüren, daß Guidos Blick auf ihm ruhte, da neigte er zuerst langsam den Kopf, bevor er sich zu ihm umdrehte.
Guidos Gesicht erschien ihm so bemerkenswert anders, der Ausdruck in seinen Augen, die Form seines Mundes. Dann plötzlich überkam ihn ein überaus genüßliches Gefühl der Pri-vatheit. Guido erkannte ihn nicht! Er hob seinen Fächer, wie die alte Frau es ihm gezeigt hatte, und öffnete ihn dann, so als enthülle er damit irgendein großartiges Geheimnis. Er bedeckte damit seinen Mund, senkte den Blick und sah dann wieder zu Guido auf.
7
Er war so in Gedanken versunken, daß er nicht viel von dem hörte, was Guido gerade sagte. Guido redete in dieser reizenden, dahinplätschernden Art, die er stets an sich hatte, wenn er endlich zufrieden war. Tonio ließ die Worte über sich hin-wegschwappen, hin und wieder nickte er gnädig.
Trotz der erdrückenden Hitze des Nachmittags hatten sie, die feine Dame und ihr verliebter Begleiter, eine offene Kutsche für eine Fahrt durch die Stadt gemietet. Sie spazierten Arm in Arm durch ein halbes Dutzend Kirchen, die Dame öffnete mit einem matten Seufzen ihren Schirm, um sich vor der Hitze zu schützen. Sie hatten in der Via Condotti gespeist, hatten eine obligatorische Fahrt von einem Ende des Corso zum anderen gemacht und waren dann nach Hause gefahren.
Aber nicht, bevor sie zu Signora Bianchi, der Näherin, zurückgekehrt waren und sie für die gesamte Spielzeit von Guidos Oper als Garderobiere engagiert hatten. Guido wußte jetzt, daß seine Oper Achille en Sciro heißen und auf einem noch recht neuen Libretto von Pietro Metastasio basieren würde.
Bei Metastasio, der sehr beliebt war, handelte es sich um ebenjenen Dichter, den Guido schon die ganze Zeit hatte verwenden wollen.
»Es ist für dich wie geschaffen«, sagte er gerade, »Achilles Mutter möchte nicht, daß ihr Sohn im Trojanischen Krieg kämpft, sie schickt ihn deshalb, verkleidet als Pirra, ein junges Mädchen, auf die Insel Scyros. Einen Teil der Oper wirst du also Pirra spielen, und wenn du dann mit einer List dazu gebracht wirst, deine wahre Identität preiszugeben, wirst du Achille in goldner Rüstung sein. Du siehst also, daß du sogar auf der Bühne einen Mann darstellst, der eine Frau spielt!«
»Ja, das ist großartig«, murmelte Tonio. Er lächelte völlig geistesabwesend. Immer wieder mußte er darüber staunen, daß er seine Verkleidung zeitweise genossen hatte, wenn Männer ihn bewunderten. Er hatte dabei gespürt, wie in ihm ein düsterer Geist der Rache, voller Spott und Gemeinheit, aufgestiegen war, gleichzeitig aber hatte er auch etwas Unbesorgtes und unschuldig Jungenhaftes verspürt. Er hielt die kleine Rose in der Hand, die die Näherin ihm gegeben hatte. Das Wasser hatte sie frisch gehalten. Als er sich jetzt, gekleidet in ein bequemes Hemd und eine Hose, seinen Fuß auf dem Stuhl vor sich, zurücklehnte, streichelte er grob deren zarte Blütenblätter und wagte, sie zu öffnen.
»Also, die anderen versuchen ständig, dir zu entlocken, wer du bist, verstehst du -«
»Guido, ich kenne die Handlung. Mit Sarris Fassung der Oper wurde das San Carlo eröffnet. Wir haben sie zusammen gesehen«, sagte Tonio sanft.
»Ja, aber dem Libretto hast du gewiß nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, oder? Abgesehen davon, ändere ich es erheblich ab. Du mußt das, was du damals gesehen hast, vergessen. Ich weiß, was die Römer wollen. Sie wollen absolute Originalität, aber ohne allzu große Neuerungen. Sie wollen das Gefühl von Festigkeit und Pracht vermittelt bekommen und erwarten eine vollendete Ausführung.« Es war eine Herausforderung, das war es, dachte Tonio, in jener Kleidung verborgen zu sein und zu wissen, was andere unmöglich wissen konnten, zuzusehen, wie sie sich zum Narren machten, wenn sie ihm diskrete Blicke zuwarfen, manchmal auch offensichtliche Einladungen signalisierten. Wann hatte sich das Blatt gewendet, fragte er sich. Wann war er vom Opfer zum Täter geworden? Wann war das alte Gefühl der Verwundbarkeit zu dem der Macht geworden? Er konnte es nicht sagen.
Seit dem Abendessen war schon einige Zeit vergangen, als Guido sich aus seinem Lehnstuhl am Fenster erhob, um einen Brief entgegenzunehmen, der am Tor abgegeben worden war.
Paolo war schon im Bett, Tonio hatte, ein Glas Wein in der Hand, vor sich hingedöst.
»Was ist los?« fragte er Guido, als dieser sich mit einem
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