Falsetto
Gesichtsausdruck, den er nicht deuten konnte, schwerfällig hinsetzte, bevor er das Blatt zusammenknüllte und wegwarf.
»Ruggerio hat die anderen beiden Kastraten, die mit dir zusammen auftreten sollen, engagiert«, sagte Guido. Er stand wieder auf und schien, die Hände in den Taschen seines Morgenmantels aus Satin vergraben, seine Gedanken zu ordnen.
Er sah Tonio an. »Es könnte ... schlimmer sein.«
»Also, wer sind die beiden?« fragte Tonio.
»Der eine ist Rubino, ein alter Sänger, sehr elegant und vielleicht zu altmodisch in seinem Stil. Aber die Römer mochten ihn früher sehr gerne. Von Rubino hast du nichts zu befürchten, aber wir müssen darum beten, daß seine Stimme mit-macht.« Er zögerte, war so in Gedanken versunken, daß es den Eindruck machte, als hätte er Tonios Gegenwart ganz vergessen.
»Und der andere?« wollte Tonio wissen.
»Bettichino«, sagte Guido.
»Bettichino!« flüsterte Tonio. Jedermann kannte ihn. »Bettichino ... auf derselben Bühne.«
»Vergiß nicht!« sagte Guido scharf. »Ich habe dir gesagt, daß es schlimmer sein könnte.« Aber er schien davon selbst nicht mehr so ganz überzeugt zu sein. Er ging ein paar Schritte, machte dann eine scharfe Kehrtwendung. »Er ist kalt«, sagte er. »Er ist herrisch, er benimmt sich, als wäre er von königli-chem Geblüt, dabei ist er aus dem Nichts gekommen, wie wir alle anderen auch ... nun... wie einige von uns.« Er warf Tonio einen scherzhaften Blick zu. »Und er läßt die Musiker ihre Instrumente immer nach seiner Stimme stimmen. Er ist bekannt dafür, daß er Sängern Anweisungen gibt, wenn er glaubt, daß sie sie nötig hätten...«
»Aber er ist ein hervorragender Sänger, ein großartiger Sänger«, sagte Tonio. »Das ist ein Glücksfall für deine Oper, und das weißt du auch...«
Guido starrte ihn an, als wisse er nicht so recht, was er sagen sollte. Dann murmelte er: »Er hat in Rom eine sehr große An-hängerschar.«
»Hast du denn kein Vertrauen zu mir?« lächelte Tonio.
»Ich setze mein ganzes Vertrauen in dich«, murmelte Guido.
»Aber es wird zwei Lager geben, sein Lager und dein Lager.«
»Also muß ich jedermann in Erstaunen versetzen«, sagte Tonio und warf spielerisch den Kopf hoch. »Oder?«
Guido straffte die Schultern. Den Blick nach vorn gerichtet, ging er geradewegs durch das Zimmer und steuerte auf seinen Schreibtisch zu. Tonio schälte sich langsam aus seinem Sessel. Leise betrat er die vollgestellte kleine Kammer, die ihm als Ankleidezimmer diente, setzte sich dort an einen Tisch, auf dem Töpfe und Tiegel standen, und starrte das violette Kleid an.
Bettichino. Ja, Bettichino. Was war damit? Vergiß die Kleider und Bänder, die venezianischen Kutschen, die nach Süden kamen, und all das andere.
Denk einen Augenblick über Bettichino nach und was es bedeutete, daß er ebenfalls engagiert worden ist.
Tonio hatte sich vor schlechten Sängern und den banalen Schrecken, die sie möglicherweise brachten, gefürchtet: Pappschwerter, die festgeklebt waren, wenn er versuchte, sie aus der Scheide zu ziehen, der Wein, dem etwas beigemischt war, so daß ihm auf der Bühne schlecht wurde. Bezahlte Zuschauer, die schon zu zischen anfingen, bevor er auch nur den Mund aufgemacht hatte.
Aber Bettichino? Kalt, stolz, ein hochmütiger König der Bühne, der einen guten Ruf und eine makellose Stimme besaß? Es war eine Herausforderung, die ihn adelte, kein entwürdigendes Kräftemessen.
Vielleicht jedoch stellte ihn dieser strahlende Sänger auch vollkommen in den Schatten, so daß ihm nichts anderes übrig-blieb, als sich im Hintergrund um die Gunst eines Publikums zu bemühen, das Bettichino bereits zu Füßen lag!
Er schauderte. Er war so in seine Gedanken versunken gewesen, daß er dieses Kleid gepackt hatte, als versuche er sich an den letzten Spuren violetter Farbe festzuklammern, die das Licht noch zu enthüllen vermochte. Er hob es an sein Gesicht, so daß er dessen kühle Glätte spüren konnte.
»Wann hast du je an deiner Stimme gezweifelt?« flüsterte er.
»Was ist los mit dir?«
Das Licht war weg. Das Fenster pulsierte im tiefen, leuchtenden Blau der Nacht. Mit ärgerlicher Miene erhob er sich, ging aus seinem Zimmer und den Korridor entlang und ließ dabei nur das Echo seiner Schritte auf dem Steinboden in sein Be-wußtsein dringen und seine Gedanken ausfüllen.
Dunkelheit, Dunkelheit, flüsterte er fast liebevoll. Du gibst mir das Gefühl, unsichtbar zu sein, du gibst mir das Gefühl,
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