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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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daß ich weder Mann noch Frau, noch Eunuch bin, und daß ich einfach lebe.
    Als er jedoch die Tür des Arbeitszimmers des Kardinals erreichte, zögerte er nicht, sondern klopfte sofort an.
    Der Kardinal saß an seinem Schreibtisch. Einen kurzen Augenblick erinnerte Tonio dieser Raum mit seinen hohen Wänden voller Bücher und dem gedämpften Kerzenschein so sehr an einen anderen Ort, daß er sich über die Liebe und das Verlangen wunderte, welches er empfand, als er im Gesicht des Kardinals sofort Leidenschaft aufflammen sah.

    8

    Gegen Ende des Sommers war es für jedermann ersichtlich, daß der mächtige Kardinal Calvino zum Gönner von Tonio Treschi geworden war, dem venezianischen Kastraten, der darauf bestand, unter seinem eigenen Namen aufzutreten.
    »Tonio«, sagte die Contessa, die immer öfter nach Rom zu Besuch kam, »man wird dich bejubeln, warte nur ab.«
    Inzwischen hielt der Kardinal die Nachtigall in einem goldenen Käfig gefangen. Er erlaubte Tonio nicht, außerhalb des Palazzo zu singen, und so trug eine Handvoll Freunde die Kunde von seiner bemerkenswerten Stimme von dort in die Stadt hinaus.

    Guido aber verfolgte einen anderen Weg.
    Stets nahm er zu den Konzerten, die er besuchte, ein paar Notenblätter mit. Wenn man ihn dann, manchmal nur aus reiner Höflichkeit, bat, etwas auf dem Cembalo zu spielen, kam er dieser Bitte sofort nach.
    Man sah ihn jetzt als regelmäßigen Gast in den Häusern der Amateure, und seine Kompositionen für Cembalo waren in aller Munde. Alle erklärten sie, sie hätten seit Alessandro Scarlatti nichts Vergleichbares mehr gehört, außer daß Guido melancholischer war und einen zum Weinen bringen konnte.
    Das traf auch auf seine leichtblütigeren Stücke zu, auf Sonaten, die so munter, prickelnd und voller Sonnenlicht waren, daß man das Gefühl hatte, von ihnen trunken zu werden wie von Champagner.
    Ein französischer Marquis, der in Rom zu Besuch war, schickte ihm eine Einladung, eine weitere kam von einem englischen Vicomte. Außerdem wurde Guido häufig in die Häuser jener römischen Kardinale bestellt, die in ihren Privattheatern regelmäßig Konzerte veranstalteten. Sie drängten Guido freundlich, etwas für sie zu komponieren.
    Aber Guido war klug. Er war nicht bereit, irgendeinen dieser Aufträge anzunehmen, denn er bereitete gerade seine Oper vor. Jederzeit jedoch konnte er vortreten und ein herrliches Concerto aus seiner Mappe mit Notenblättern herausziehen.
    Ja, nach seinen kürzeren Kompositionen zu urteilen, mußte diese neue Oper gewiß etwas Besonderes sein, murmelten die Leute. Und Tonio, sein Schüler, war so bemerkenswert anzusehen, so vollkommen in jeder Hinsicht, selbst wenn er sich stets höflich weigerte zu singen.

    Das war das Leben in der Öffentlichkeit.
    Daheim aber mußte Tonio jetzt noch härter üben, als das im Conservatorio je der Fall gewesen war. Vor allem die hohen schnellen Glissandos, die zu Bettichinos Repertoire gehörten, ließ Guido ihn immer wieder singen. Nach zwei strengen Übungsstunden am Morgen trieb er Tonio jetzt zu Tönen und Passagen, die er nur bewältigen konnte, wenn die Stimme richtig warm war. Tonio fühlte sich in diesen Bereichen nicht sicher, mit der Übung würde jedoch die nötige Sicherheit kommen. Obwohl er diese hohen Töne vielleicht nie brauchen würde, mußte er für Bettichino gerüstet sein, erinnerte Guido ihn immer wieder.
    »Aber dieser Mann ist fast vierzig, kann er das denn singen?«
    Tonio starrte eine Reihe neuer Übungen an, die zwei Oktaven über dem eingestrichenen C lagen.
    »Wenn er es kann«, sagte Guido, »dann mußt du es auch können.« Und nachdem er Tonio eine weitere Arie gegeben hatte, eine, die später vielleicht gar nicht in der fertigen Oper auftauchen würde, sagte er: »Jetzt bist du nicht mehr mit mir in diesem Zimmer. Du stehst auf der Bühne, und Tausende hören dir zu. Du darfst dir keinen Fehler erlauben.«
    Tonio war von dieser neuen Arie insgeheim begeistert. In seiner ganzen Zeit in Neapel hatte er es nie gewagt, ein kriti-sches Urteil zu Guidos Kompositionen abzugeben, doch er wußte, daß sein eigener Geschmack geprägt worden war, noch bevor er sein Zuhause verlassen hatte.
    Er hatte nicht nur venezianische Musik kennengelernt, er hatte auch eine große Menge neapolitanischer Stücke gehört, die im Norden gespielt wurden.
    Er erkannte, daß Guido, der jetzt von der langweiligen und strengen Lebensweise des Conservatorio und den beständigen Forderungen seiner

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