Falsetto
älteren Schüler befreit war, sogar sich selbst überraschte. Er verfeinerte sein Spiel ebenso wie seine Kompositionen und hatte Freude an all der Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Nachdem der Unterricht des Tages vorbei war, konnten er und Tonio tun und lassen, was sie wollten.
Und wenn Tonio Guido nicht zu den verschiedenen Abendgesellschaften und Konzerten begleiten wollte, die er besuchte, dann drängte ihn Guido nicht.
Wenn Tonio den Kardinal sah - entweder in seiner karminroten Robe prangend oder in den Reichtümern seines Zimmers verloren -, so dachte er jetzt stets: Ja, wegen dieser Zeit, die wir gemeinsam haben, liebe ich ihn, liebe ich ihn aufrichtig, und solange er mich begehrt, möchte ich ihm auf jede Weise Freude schenken.
Wenn es nur genug gewesen wäre.
Tatsache war, daß Tonio sich, angeregt durch den Anblick jenes Mannes, der ihn uneingestanden in Besitz genommen hatte, nun überall unversehrten Männern hingab, Fremden, denen er tagsüber in den Korridoren des Kardinals begegnete, selbst Grobianen, die ihm auf der Straße heiße, eindeutige Blicke zuwarfen.
Die Fechthallen, wo er einst tröstliche Erschöpfung gesucht hatte, waren für ihn zu Folterkammern geworden, bevölkert von den aufreizendsten Körpern, von gesunden, unversehrten und manchmal barbarischen jungen Adeligen, die er sich frü-
her stets auf Distanz gehalten hatte.
Jetzt wühlte es ihn auf, wenn er eine breite Brust unter einem offenen Hemd glänzen sah, wenn er Arme sah, die fest und herrlich muskulös waren, wenn er die Schwellung des Hodensacks zwischen den Beinen sah. Selbst der Geruch ihres Schweißes peinigte ihn.
Er machte eine Pause, wischte sich über die Stirn und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er, daß der junge Florentiner Graf Raffaele di Stefano, sein ausdauerndster Gegner, ihn mit unverhüllter Begierde und Faszination anstarrte, Jetzt wandte dieser den Blick schuldbewußt ab. War es immer nur einfach die Angst vor diesen Männern gewesen, die ihn angespornt hatte? War da immer dieses uneingestandene Verlangen gewesen?
Es richtete sich auf, bereit, mit dem Grafen die Klinge zu kreuzen. Mit blitzschnellen Bewegungen stürzte er sich auf ihn, trieb ihn zurück, sah, wie der Graf die Zähne zusammenbiß.
Seine Wimpern waren am Ansatz so dicht, daß seine runden schwarzen Augen wirkten, als wären sie mit schwarzes Farbe umrandet. Er besaß ein kompaktes, volles Gesicht, sein Haar war tintenschwarz.
Der Fechtmeister trennte sie voneinander. Der Graf hatte eine Schramme abbekommen, sein feines Leinenhemd war an der Schulter zerrissen. Nein, er wollte nicht aufhören.
Als sie ihren Kampf fortsetzten, war zu merken, daß der Graf von Wut und Stolz getrieben wurde, aber er war unkonzentriert, während er sich bemühte, die große Reichweite von Tonios Armen zu überwinden.
Es war vorbei.
Der Graf stand keuchend da, seine Brust hob und senkte sich.
Dunkles Haar wuchs dort, reichte bis zu seiner Kehle hinauf, wo es wegrasiert worden war. Sein fleischiges Gesicht war an den Stellen, an denen kein Bart wuchs, so glatt, daß Tonio es fast zwischen seinen Fingern spüren konnte. Der rasierte Bart kratzte sicherlich.
Er drehte dem Grafen den Rücken zu, ging dann in die Mitte des Raumes und blieb dort auf dem polierten Boden stehen, den Degen an der Seite. Er konnte spüren, wie die anderen ihn mit ihren Blicken maßen. Er konnte spüren, wie sich der Graf ihm näherte. Der Mann verströmte einen animalischen Geruch, köstlich und heiß, als er Tonios Schulter berührte.
»Speisen Sie mit mir zu Abend, ich bin allein in Rom«, sagte er ziemlich abrupt. »Sie sind der einzige Fechter, der mich zu besiegen vermag. Ich möchte, daß Sie mit mir kommen, seien Sie mein Gast.« Tonio drehte sich langsam um und sah ihn an. Die Einladung war unmißverständlich. Die Augen des Grafen waren schmal geworden. Auf einem seiner Nasenflügel schimmerte ein winziger schwarzer Leberfleck, ein weiterer befand sich auf seinem Unterkiefer. Tonio zögerte, senkte langsam den Blick. Als er ablehnte, geschah das murmelnd, stotternd und so hastig, daß es fast schon unhöflich wirkte.
Ein wenig ärgerlich spritzte er sich kaltes Wasser ins Gesicht, trocknete sich unwirsch mit dem Handtuch ab, bevor er sich zu dem Kammerdiner umdrehte, der ihm seinen Rock reichte.
Als er auf die Straße hinaustrat, hob der Graf, der im Laden eines Weinhändlers gegenüber gewartet hatte, langsam seinen Becher zum Gruß.
Die
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