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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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die Augen, lehnte sich gegen den Wind, ließ es zu, daß er seine Haut mit eisiger Kälte überzog, und genoß diese köstliche Trunkenheit, in der er keinen Schmerz, keinen Kummer mehr fühlte. »Für dich morde ich«, flüsterte er. »Für dich töte ich.«
    Er öffnete die Augen. Die rotgewandeten Adeligen waren verschwunden, und einen Augenblick lang stellte er sich vor, sie wären allesamt im Meer ertrunken. Diese Vorstellung gefiel ihm.
    »Exzellenz, wir bringen Sie nach Hause.«
    Er drehte sich um. Es war Federico, der Verwegene, der sich sowohl als Diener wie auch als Bravo nützlich machte. Wieder hob er die Flasche an die Lippen, behielt die Flüssigkeit aber erst eine Weile im Mund, bevor er sie dann schließlich hinun-terschluckte.
    »Gleich, gleich...« Er wollte weitersprechen, aber ein Tränen-schleier hatte seinen Blick getrübt. Leere Zimmer, ihr leeres Bett, ihre Kleider, und in der Luft hing immer noch ein schwacher Parfümduft. »Die Zeit heilt keine Wunden, sie macht nichts erträglicher«, sagte er laut. »Nicht ihren Tod, nicht die Tatsache, daß sie auf ihrem Sterbebett seinen Namen genannt hat!«
    Die Menschenmenge schwoll an, war wie ein lebendiges Wesen, strebte hier und dort auseinander, ballte sich wieder zusammen. Regen, vom Wind gepeitscht, fiel auf seine Augenlider und seine Lippen, die er zu einem Lächeln verzerrt hatte. Er konnte dieses Lächeln in seinem ganzen Gesicht spüren. Er machte einen Schritt seitwärts, fing sich wieder und sagte beim nächsten Schluck: »Zeit.« Er sagte dies laut und mit jener Unbekümmertheit, die einem nur die Trunkenheit verleihen konnte. Dann flüsterte er: »Und Trunkenheit schenkt einem nichts, außer hier und da die Stärke, diesen Anblick, diese Schönheit zu ertragen, die Bedeutung des Ganzen zu erkennen.«
    Die Regenwolken mit den silbernen Rändern, die Goldmosa-iken schimmerten, bewegten sich. Hatte sie, während sie heimlich trank oder wenn sie ihm den Wein regelrecht aus den Händen gerissen und er sie angefleht hatte: »Marianna, bleib bei mir, trink nichts mehr, bleib bei mir!« jemals all diese Schönheit gesehen? Wenn sie besinnungslos auf ihrem Bett lag, träumte sie dann überhaupt?
    »Exzellenz«, flüsterte Federico.
    »Laß mich in Ruhe!«
    Der Weinbrand besaß eine köstliche Hitze, er war wie flüssiges Feuer. Er stellte sich vor, wie er durch seinen Körper floß, wie er ihn wärmte, so daß ihm die eisige Kälte um ihn herum nichts anhaben konnte. Da kam ihm der Gedanke, daß all diese Schönheit ihren größten Nutzen hatte, wenn man sich gänzlich jenseits allen Schmerzes befand.
    Regen strömte erneut vom Himmel, klatschte in kurzen Böen auf die Wasserfläche, die sich vor ihm erstreckte. Es gab dabei ein lautes, zischendes Geräusch.
    »Nun, er wird sehr bald bei dir sein, meine Geliebte«, flüsterte er, während er die Zähne zu einer Grimasse entblößt hatte.
    »Er wird bei dir sein, und ihr werdet im Schoße der Erde bei-einanderliegen.«
    Wie sie sich am Schluß gebärdet hatte! »Ich werde zu ihm gehen, verstehst du mich, ich werde zu ihm gehen. Du kannst mich hier nicht gefangenhalten. Er ist in Rom, und ich werde zu ihm gehen.« Er hatte ihr geantwortet: »Ach, mein Liebling, bist du denn überhaupt in der Lage, deine Schuhe zu finden oder deinen Kamm?«
    »Jaaaaaah, ihr werdet Zusammensein« - die Worte strömten wie ein tiefer Seufzer aus ihm heraus - »und dann, und dann kann ich wieder frei atmen. Dein Tod wird all meine Fehler der Vergangenheit korrigieren, dann gibt es keinen Tonio mehr, keinen Tonio, den Eunuchen, keinen Tonio, den Sänger!« flü-
    sterte er. »Auf ihrem Sterbelager hat sie dich zu sich gerufen, nicht wahr? Sie hat deinen Namen genannt!«
    Er schluckte den Weinbrand hinunter, genoß den Schauder, der ihn dabei durchlief, und leckte sich einen letzten Tropfen von den Lippen.
    »Und du wirst erfahren, daß ich für alles bezahlt habe, wirst erfahren, wie ich gelitten habe, daß jeder Augenblick, den ich dir geschenkt habe, mich teuer zu stehen gekommen ist. Jetzt aber kann ich dir keine Zeit mehr schenken, mein unehelicher Sohn, mein unbeugsamer und unentrinnbarer Rivale. Du wirst sterben, du wirst sterben, so daß ich wieder leben kann!«
    Der Wind zerwühlte sein unordentliches Haar, er pfiff in seinen Ohren, drang kalt durch das dünne Material seines Rocks und ließ seinen langen schwarzen tabarro zwischen seinen Beinen hin und her flattern.
    Doch als er sich wieder gegen den Wind

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