Falsetto
Abkömmling meiner Familie, zählen konnte, stehen nun zwischen seinen offensichtlichen Motiven und diesem Anschlag auf mein Leben.
Er hat diese Meuchelmörder geschickt, um mich zu töten, und damit hat er versucht, ebenjenes Leben auszulöschen, das mich von meinem Vorhaben abhielt, das mir sagte, vergiß ihn, laß ihn leben!
Aber ich kann ihm nicht vergeben. Jetzt läßt er mir keine Wahl mehr. Ich muß zu ihm gehen und ihn vernichten.«
»Aber kannst du ihn denn überhaupt vernichten, Marc Antonio«, fragte der Kardinal, »ohne dein eigenes Leben zu verlieren?«
»Ja, Euer Gnaden«, antwortete Tonio mit ruhiger Überzeugung. »Ich kann es. Schon seit langem kenne ich einen Weg, ihn in meine Gewalt zu bekommen, ohne mein Leben dabei allzusehr zu gefährden.«
Der Kardinal wägte das still ab. Seine Augen wurden schmal, als er den Tabernakel vorne ansah.
»Ach, wie wenig ich doch über dich weiß, wie wenig ich doch wußte, was du gelitten hast...«, sagte er.
»Mir ist ein Bild in den Sinn gekommen«, fuhr Tonio fort. »Den ganzen Abend hat es mich verfolgt. Es ist die alte Geschichte, die man Kindern und Erwachsenen gleichermaßen erzählt und die davon handelt, wie der große Eroberer Alexander, als man ihn aufforderte, den gordischen Knoten zu lösen, ihn mit seinem Schwert durchschlagen hat. Das nämlich war es, was ich in mir trug, eine Art gordischen Knoten, denn einerseits wollte ich leben, andererseits war ich aber überzeugt, nicht leben zu können, bis ich ihn vernichtet hätte, wodurch ich aber meinen eigenen Untergang bewirkt hätte! Nun, er hat den gordischen Knoten mit den Messern seiner Meuchelmörder zerschlagen.
Oft genug habe ich heute abend, wenn andere glaubten, ich würde nur lächeln, bei mir gedacht, daß ich nun begreife, warum ich diese alte Geschichte stets als so unbefriedigend empfunden habe. Vielleicht sehen nur jene von uns, die keine Männer sind, die Weisheit von Gut und Böse in einem klareren Licht und sind von diesem Anblick wie gelähmt.
Oh, wie gerne würde ich meine Zeit unter Eunuchen, Frauen, Kindern und Heiligen verbringen, die sich von der Vulgarität der Schwerter fernhalten. Aber ich kann es nicht. Er hat mich angegriffen. Er erinnert mich daran, daß man sich der Männlichkeit trotz allem nicht so leicht entledigen kann. Sie ist immer noch irgendwo vorhanden und macht es mir möglich, mich gegen ihn zu verteidigen. Es ist tatsächlich so, wie ich stets glaubte: Ich bin kein Mann, und dennoch bin ich einer.
Aber ich kann weder als das eine noch das andere leben, solange er ungestraft bleibt!«
»Dann gibt es nur einen einzigen sicheren Weg aus dieser schwierigen Lage.« Der Kardinal wandte sich ihm jetzt endlich zu. »Du kannst deine Hand gegen deinen Vater nicht erheben, ohne dafür büßen zu müssen. Das hast du eben selbst gesagt. Ich brauche dir dazu keine Bibelstelle zu zitieren. Gleichzeitig ist es aber so, daß dein Vater dir nach dem Leben trachtet, und zwar, weil er dich fürchtet. Nachdem er von deinen Triumphen auf der Bühne, deinem Ruhm, deinem Vermö-
gen, deiner Fechtkunst gehört hat, von den mächtigen Männern, die auf deiner Seite stehen, muß er zwangsläufig glauben, daß du vorhast, gegen ihn vorzugehen.
Deshalb mußt du nach Venedig fahren. Du mußt ihn in deine Gewalt bekommen. Ich kann dir Männer mitschicken, du kannst auch die des Grafen Raffaele di Stefano mitnehmen, wie immer es dir beliebt. Und dann trete ihm gegenüber, wenn du willst. Überzeuge dich davon, daß er in diesen vier Jahren für das Unrecht, das er dir angetan hat, gebüßt hat. Und dann laß ihn gehen. Er erhält dadurch die Gewißheit, daß du ihm niemals etwas Böses antun wirst; und du wirst deine Genug-tuung haben. Der gordische Knoten wird entwirrt, ohne daß dabei Schwerter nötig wären.
Dies sage ich jetzt nicht als Priester und Beichtvater zu dir. Ich sage es als jemand, der dem, was du erlitten, verloren und trotz allem gewonnen hast, mit großem Respekt gegenüber-steht. Ich bin von Gott niemals so geprüft worden wie du. Und als ich meinen Gott enttäuscht habe, warst du, obwohl ich sündigte, gütig zu mir. Du hast mir gegenüber weder Verachtung gezeigt, noch irgendeinen gräßlichen Nutzen aus meiner Schwäche gezogen.
Tu, was ich dir gesagt habe. Der Mann, der dich so lange hat leben lassen, hat nicht wirklich den Wunsch, dich zu töten.
Was er vor allem will, ist deine Vergebung. Und nur, wenn er vor dir auf den Knien liegt, kannst du ihn
Weitere Kostenlose Bücher