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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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oder was immer du bist, dachte er, während Gehässigkeit in ihn einsickerte, so als wä-
    re plötzlich irgendein kleiner dunkler Fleck aufgebrochen wie ein Geschwür und würde jetzt sein Gift verströmen. Was weißt du denn von den Dingen, die dich umgeben? Weißt du, daß du zu all dieser Schönheit dazugehörst, du gehörst einfach dazu, egal was für häßliche, triviale und unvermeidbar absto-
    ßende Gedanken du auch haben magst!
    Die Flasche war leer.
    Er hatte sie nicht fallen lassen wollen, dennoch zersprang sie auf den nassen Steinen zu seinen Füßen. Auf der dünnen Wasserschicht um die Scherben herum bildeten sich kleine kreisförmige Wellen, die Glasstücke glitzerten und blieben liegen. Er trat darauf. Das Geräusch von knirschendem Glas gefiel ihm.
    »Bringt mir noch eine!« Er gestikulierte. Einer der Schatten, die er aus dem Augenwinkel sah, kam auf ihn zu, wurde breiter, größer.
    »Signore.« Man reichte ihm eine Flasche. »Bitte, Sie sollten nach Hause gehen.«
    »Aaach!« Er öffnete die Flasche. »Alle Menschen, mein Freund, lassen jene, die trauern, gewähren. Und ist es denn nicht so, daß ich heute mehr Grund zum Trauern habe als irgend jemand sonst?« Er grinste Federico höhnisch ins Gesicht. »Höchstwahrscheinlich fängt er jetzt, da wir hier stehen, schon an zu verfaulen. Seine Freunde, die Reichen und Mächtigen von Rom und Neapel, bahren ihn gerade prunkvoll auf, und alle Frauen, die in Verzückung gerieten, wenn sie seine Stimme hörten, heulen und jammern.«
    »Signore, ich bitte Sie...«
    Er schüttelte den Kopf. Da war wieder das Krankenzimmer und dieses... was war es?... dieses Entsetzen, das er fast wie einen Belag auf der Zunge schmecken konnte. Sie setzte sich plötzlich auf. »Tonio!«
    Er legte die Hand auf Federicos Brust und schob ihn weg.
    Er trank in großen und langsamen Schlucken, gab der Traurigkeit, diesem strahlenden, unergründlichen Gefühl, das voller Ruhe war, ein Zeichen, wieder zu ihm zu kommen.
    Und sie, die Frau in Schwarz, wohin war sie verschwunden?
    Er drehte sich um. Als er sie dann keine zehn Schritte von ihm entfernt entdeckte, war er sich sicher, daß sie, genau wie er, eben den Kopf gewandt hatte, um ihn anzusehen!
    Ja, das hatte sie getan.
    Sie sah ihn aus der Dunkelheit ihrer Schleier heraus an. Er verachtete sie, obwohl er wußte, daß seine Augen lüstern glitzerten, als er ihr bewundernd zulächelte. Immer war es dieselbe Unverschämtheit, diese Koketterie, dieses Katz-und-Maus-Spiel, während der Kummer in seinem Inneren klopfte: Du denkst, ich will dich, du denkst, ich begehre dich, aber ich werde dich austrinken wie Wein und dich fortwerfen, bevor du überhaupt weißt, was dir geschieht. Aber bei Marianna war es anders gewesen! Es war eine Liebe, die von der Zeit nicht berührt worden war. Nein, er war nötig gewesen, um sie zu zerstören. »Tonio!«, und sie hatte kein weiteres Wort mehr gesprochen, bis sie gestorben war.
    Er nahm einen Schluck vom Weinbrand, so hastig, daß er ihm übers Gesicht lief und auf die Kleidung tropfte.
    Jemand hatte ihn gegrüßt, hatte sich verbeugt und sich dann eilig zurückgezogen, als er sah, wie die Dinge standen. Aber sie würden ihm verzeihen, jeder verzieh ihm. Seine Frau war tot, die Kinder weinten um sie, er selbst war untröstlich. Und irgendwo fünfhundert Meilen weiter im Süden war da diese Schande, dieser alte Skandal. »Ach, Senator Carlo Treschi«, sagten sie sich gewiß, »was der alles ertragen mußte.«
    Da war noch etwas. Federico stand dicht neben ihm. Er starrte die Frau in Schwarz an. Sie versuchte tatsächlich, ihn zu sich zu locken. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich in Frieden lassen.«
    »... ist eingelaufen, aber es war niemand drauf, Signore.«
    »Worauf? Ich kann dich nicht verstehen.«
    »Auf dem Postschiff, Signore, da war niemand ...«
    Anmutige, katzenhafte Hure. Der Schwung ihres Kleides und die Art, wie sie sich im Wind neigte, hatten etwas unglaublich Elegantes an sich. Er wollte sie, er wollte sie, und wenn das hier vorbei war, würde er vor ihr auf die Knie sinken und ihr beichten: »Ich habe ihn getötet, ich hatte keine andere Wahl, ich habe nicht...« Er drehte sich um und versuchte Federico deutlicher ins Auge zu fassen. »Was hast du gesagt?«
    »Es war niemand auf dem Postschiff, Signore. Da war keine Nachricht -« und jetzt senkte er die Stimme, so daß sie kaum mehr ein Flüstern war - »keine Nachricht aus Rom.«
    »Nun, es wird bald eine kommen.« Er

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