Falsetto
in den Gängen des Palazzo Treschi im Schatten herumgedrückt hatten.
»Geh, Guido«, flüsterte Tonio.
Schließlich waren er und Kardinal Calvino allein.
»Euer Gnaden«, bat Tonio. »Würden Sie mir nach soviel Freundlichkeit, die ich von Ihnen erfahren habe, noch eine weitere Gefälligkeit erweisen? Könnten wir allein in Ihre Kapelle gehen, damit Sie mir die Beichte abnehmen?«
9
Sie gingen schweigend den Flur entlang. Als sie die Tür zur Kapelle öffneten, stellten sie fest, daß es drinnen warm war.
Vor den Heiligenfiguren aus Marmor schimmerten Kerzen, die goldenen Türen des Tabernakels strahlten über der glatten, weißen Fläche des mit Leinen drapierten Altars ein schwaches Licht ab.
Der Kardinal ging zur ersten, mit Schnitzereien verzierten Stuhlreihe, die vor dem Altargitter stand, setzte sich dort hin und bot Tonio den Platz neben sich an. Es bestand für die beiden keine Notwendigkeit, den Beichtstuhl zu benutzen. Der geneigte Kopf des Kardinals und sein hageres Profil sagten Tonio, daß er, wenn er wollte, jetzt mit der Beichte anfangen konnte.
»Euer Gnaden«, sagte er, »was ich Ihnen jetzt erzähle, muß unter dem Schutz des Beichtgeheimnisses stehen.«
Der Kardinal runzelte die Stirn. »Marc Antonio, warum erinnerst du mich daran?« fragte er.
Er hob die rechte Hand und machte ein Segenszeichen.
»Weil ich nicht um Absolution bitte, Euer Gnaden, ich suche vielleicht eine gewisse Bestätigung vor dem Himmel, daß ich richtig handle. Ich weiß nicht, was ich suche, aber ich muß Ihnen sagen, daß derjenige, der die Männer ausgeschickt hat, um mich zu töten, mein eigener Vater ist, den jedermann als meinen Bruder kennt.«
Er erzählte die Geschichte rasch, sauber, so als hätten die Jahre alle Kleinigkeiten weggewaschen und nur noch das Gerippe übriggelassen. Der Kardinal hörte ihm konzentriert und mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck zu. Seine gesenkten Lider lagen glatt und rund über seinen Augen, und er schüttelte in beredtem Schweigen ganz leicht den Kopf.
»Was mir angetan wurde, hätte jemand anderen schon viel früher zur Rache getrieben«, flüsterte Tonio. »Aber ich weiß jetzt, daß ich mich scheute, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen, weil ich glücklich war. Ich habe mein Leben nicht verabscheut, ich habe es geliebt. Meine Stimme war für mich nicht nur ein Geschenk Gottes, sie machte mich froh und glücklich. Auch alle Menschen um mich herum machten mich glücklich, obwohl da zugegebenermaßen auch Lust und Leidenschaft waren. Manchmal hatte ich das Gefühl, ein Glas Wasser zu sein, in das hell die Sonne scheint, bis es ganz davon erfüllt ist und selbst zu leuchten anfängt.
Hätte ich ihn also niederstrecken sollen? Hätte ich meine Mutter abermals zur Witwe und ihre Kinder zu Waisen machen sollen? Hätte ich Dunkelheit und Tod über dieses Haus bringen sollen? Und hätte ich meine Hand gegen ihn erheben sollen, wo er doch mein Vater ist und mir durch die Liebe zu meiner Mutter das Leben geschenkt hat? Wie hätte ich das tun können, als ich, abgesehen von dem Haß auf ihn, sonst nur Glück und Zufriedenheit empfing, wie ich es als Kind nie gekannt hatte?
Also habe ich es aufgeschoben. Ich habe gewartet, weil er nicht nur ein Kind haben mußte, sondern zwei. Ich habe gewartet, bis meine Mutter schließlich erlöst und im Himmel war.
Und selbst dann, als all dies geschehen war, als ich meinen Pflichten gegenüber jenen, die ich liebte, nachgekommen war und mir nichts mehr im Weg stand, da waren es die Tatsache, daß ich glücklich war, und der Gedanke, das aufgeben zu müssen, was mich unschlüssig werden ließ. Genauer gesagt, Euer Gnaden, ich bekam Schuldgefühle, weil ich vorhatte, ihn niederzustrecken! Warum sollte er sterben müssen, wenn mir die Welt gehörte, wenn ich Liebe und alles, wonach ein Mann nur verlangen konnte, genießen durfte? Das waren die Fragen, die ich mir stellte.
Und selbst an ebendiesem Tage war ich noch unschlüssig, ob ich mein Vorhaben wirklich durchführen sollte. Sogar heute noch habe ich mit meinem Gewissen gerungen. Der Streit, den ich mit anderen hatte, war dabei nichts als ein Streit mit mir selbst.
Aber wie Sie sehen, hat er jetzt selbst sein Verderben heraufbeschworen! Er hat seine Leute geschickt, um mich umzubringen. Jetzt ist es ihm möglich. Meine Mutter ist tot und begraben. Vier Jahre, in denen er auf meine Loyalität gegen-
über meiner Familie und meinem Namen und ja, selbst gegenüber ihm, dem letzten
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