Fame Junkies
gut ich Menschen fotografieren kann.«
Wir betraten die Schule und durchquerten die Eingangshalle, als Nasim mich am Arm festhielt. »Warte mal. Da ist dein kleiner Spion aus der Siebten.«
Ich wusste erst gar nicht, von wem er redete, aber dann erkannte ich den blonden Jungen, der zielstrebig auf mich zusteuerte. Ethan Taylor gab mir einen Zettel, auf den er in typischer Jungenkrakelschrift einen Namen und eine Adresse geschrieben hatte, und wartete, bis ich ihn gelesen hatte. »Und wo bleibt mein Honorar?« Er rieb grinsend Daumen und Zeigefinger aneinander.
»Du kriegst dein Geld, sobald ich meins bekommen habe«, versprach ich, faltete den Zettel zusammen und schob ihn in die Hosentasche. Dann gab ich Nasim einen Kuss und machte auf dem Absatz kehrt. »Ich melde mich später bei dir.«
»Wo willst du denn hin?«, fragte Nasim stirnrunzelnd.
»Zum Arzt.«
Kurz darauf stand ich mutterseelenallein vor dem Bürohaus, dessen Adresse Ethan mir gegeben hatte. Vielleicht hatte er ja einen Fehler gemacht und ich wartete hier völlig vergebens auf Naomi Fine. Zumindest gab es in dem hohen Sandsteingebäude tatsächlich eine Frauenärztin, das war schon mal positiv. Die Praxis hatte einen separaten Eingang, der ein paar Meter vom Haupteingang entfernt lag. Neben der unauffälligen schwarzen Tür hing ein glänzendes Messingschild.
Dr. Emily Clarkson
Gynäkologie und Geburtshilfe
Eine Frau in einem pelzgefütterten Regenmantel, die einen Mops im roten Regenmäntelchen spazieren führte, stöckelte an mir vorbei. Auf der Straße staute sich der Verkehr. Reifen quietschten auf dem nassen Asphalt.
Ich war fest entschlossen, die Sache durchzuziehen, auch wenn ich nicht wusste, ob es etwas brachte. In die Schule konnte ich jetzt jedenfalls nicht mehr zurück. Mein unentschuldigtes Fehlen war bestimmt schon gemeldet worden und ich würde sowieso Ärger bekommen. Mir blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen, dass mein Einsatz sich wenigstens lohnen würde. Aus allen Richtungen strömten mit Regenschirmen bewaffnete Angestellte in das Bürogebäude. Immer wieder hielten Taxis am Straßenrand und spuckten Fahrgäste aus. Nach etwa einer halben Stunde blieb neben mir eine schwarze Limousine stehen. Der Fahrer sprang heraus und eilte um den Wagen, um die Beifahrertür zu öffnen. Mein Herz begann wie wild zu klopfen und ich griff wie in Trance nach meiner Kamera. Falscher Alarm. Aus der Limousine stieg nicht Naomi, sondern nur eine ältere Dame im Burberry-Trenchcoat.
Der Nieselregen sorgte dafür, dass meine Haare innerhalb kürzester Zeit klatschnass waren. Es wurde zwölf, dann eins. Mein Magen knurrte und vom langen Stehen taten mir die Füße weh, aber an Aufgeben war nicht zu denken. Ich durfte Naomi auf keinen Fall verpassen. Eine weitere Stunde verstrich. Irgendwann wurde der uniformierte Portier am Haupteingang auf mich aufmerksam und beobachtete mich misstrauisch, aber ich versteckte die Kamera unter meiner Jacke und tat so, als würde ich auf jemanden warten.
Je mehr Zeit verging, desto größer wurden meine Zweifel. Selbst wenn die Adresse stimmte, hatte Naomi ihren Termin möglicherweise schon gestern gehabt und die ganze Aktion war umsonst. Oder sie kam erst morgen. Sollte ich es riskieren, noch einen weiteren Tag Schule blauzumachen? War es das wert?
Während ich noch das Für und Wider abwägte, fuhr ein Taxi heran und Naomi Fine stieg aus. Sie trug eine Baseballkappe, eine Kapuzenjacke und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das Hoodie war ziemlich weit geschnitten, sodass man von vorne schlecht erkennen konnte, ob sich darunter ein kleines Babybäuchlein verbarg, aber Naomis rosiger Teint und ihre strahlenden Augen schrien förmlich: »Mutterglück!«
Mir war sofort klar, dass ich sie von der Seite erwischen musste, weil man sonst nicht genug von ihrem Bauch sehen würde, also hob ich die Kamera und schoss wie wild drauflos. Naomi Fine war sich anscheinend so sicher gewesen, nicht erkannt zu werden – angeblich drehte sie ja schließlich gerade in Toront o –, dass sie völlig überrascht reagierte. Sie blieb direkt vor mir stehen und ihr erschrockenes, ertapptes Gesicht sprach Bänd e …
Und dann hatte ich es auch schon im Kasten – das Bild, das bares Geld wert war.
Kaum eine Minute später saß ich im Taxi auf dem Weg zu Carla und hielt die Kamera so behutsam im Schoß, als wäre sie ein rohes Ei. Ich wusste, dass die Bilder gut waren – richtig, richtig gut – und
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