Fame Junkies
komischerweise verstand ich, was in ihr vorging. Die Situation war ja tatsächlich ziemlich surreal und ihr war die Welt, in der ich mich bewegte, vollkommen fremd. Genau genommen hatte sie ja sogar Recht – ich war nur ein Mädchen mit einer Kamera. Und doc h …
Ich zog mein Handy aus der Tasche, tippte Carlas Nummer ein und hielt es meiner Mutter hin.
»Was soll das?«, fragte sie gereizt.
»Ich will, dass du mit Carla redest.«
Mom starrte auf das Handy und schüttelte den Kopf. »Ich wüsste nicht, was ich dieser Frau zu sagen hätte, außer, dass sie sich schämen sollte, dich auch noch dazu anzustacheln, die Schule zu schwänzen, um Fotografin zu spielen.«
Ich hielt ihr weiter das Handy hin, hatte aber noch gar nicht auf die Anruftaste gedrückt. »Willst du denn gar nicht wissen, wie viel Geld ich heute beim Spielen verdient habe?«
Meine Mutter wirkte verunsichert. Wahrscheinlich spürte sie, wie ernst es mir war – vielleicht hatte sie aber auch einfach Angst, ich hätte endgültig den Verstand verloren. »Was soll das heißen?«, fragte sie zögernd.
»Das soll heißen, dass die People heute eines meiner Fotos für das Titelblatt der nächsten Ausgabe gekauft hat.« Ich zeigte mit dem Kinn Richtung Handy. »Frag Carla, wenn du mir nicht glaubst.«
Meine Mutter schüttelte nur den Kopf und setzte sich erschöpft an den Küchentisch. »Ich will nicht mit ihr sprechen. Ich bin es leid, Spielchen zu spielen. Leg endlich das Handy weg und sag mir, was passiert ist.«
Ich setzte mich und erzählte ihr, dass ich so lange vor Dr. Emily Clarksons Praxis gewartet hatte, bis Naomi Fine aufgetaucht war.
»Aber woher wusstest du, dass sie kommen würde?«, fragte Mom.
»Sie dreht gerade einen Film in Toronto«, erklärte ich ihr. »Jeder Drehtag kostet Hunderttausende von Dollar. Die geben ihrer Hauptdarstellerin nicht einfach so frei. Wenn sie ihr erlaubt haben, nach New York zu fliegen, um zum Arzt zu gehen, musste schon ein wirklich dringender Grund vorliegen. Und weil eine Frau, die am Set arbeitet, der Presse gesteckt hat, dass ihr morgens öfter übel ist, kam natürlich sofort die Vermutung auf, dass sie schwanger ist.«
Meine Mutter sah mich verwundert an.
»Die ganzen Paparazzi haben vor ihrer Wohnung darauf gelauert, ein Foto von ihr zu schießen, verstehst du? Aber ich war die Einzige, die an die Adresse ihrer Ärztin rangekommen ist.«
Und dann sagte ich ihr, welche Summe People auf den Tisch gelegt hatte, um mein Foto zu kaufen. Mom klappte buchstäblich die Kinnlade herunter. Auch wenn sie nichts für Promizeitschriften und Klatschmagazine übrighatte und der Meinung war, dass das Interesse der Öffentlichkeit für Stars total übertrieben und krankhaft war, verstand sie, dass mein Foto verdammt gut gewesen sein musste.
»Und soll ich dir mal was sagen, Mom?«, sagte ich. »Du hast vollkommen Recht: Ich bin nichts weiter als ein Mädchen mit einer Kamera, das in einer Fantasiewelt lebt. Aber weißt du was? Alle anderen leben auch darin.«
***
Als ich an diesem Abend im Bett lag, war ich viel zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Mir gingen Tausende von Gedanken durch den Kopf. Ich hatte gerade die olympische Goldmedaille der Fotoreporterwelt gewonnen – ein People -Cover! Ich konnte es selbst kaum fassen und fragte mich, inwieweit ich diesen Erfolg nun meinem Können oder doch nur wieder meinem Glück zu verdanken hatte. Deswegen nahm ich es meiner Mutter auch nicht übel, dass sie an mir gezweifelt hatte. Letztendlich hatte ich wirklich wahnsinniges Glück gehabt, dass ich einen Mitschüler gefunden hatte, der nicht nur im selben Haus wohnte wie Naomi Fine, sondern auch noch der Sohn ihrer Internistin war. (Ethan hatte sich seine hundert Dollar wirklich verdient.) Andererseits war ich überzeugt davon, dass Glück nichts war, das einem einfach so in den Schoß fiel. Man musste schon einen Nährboden schaffen, auf dem es gedeihen konnte. Ich hatte damals, als Tatiana Frazee im Cafazine ausgerastet war, die Hand bereits an der Kamera gehabt und blitzschnell reagiert. Es war meine Idee gewesen, im Schülerverzeichnis nachzusehen, ob einer meiner Mitschüler zufälligerweise in der 5th Avenue 63 wohnte. Und ich hatte die Schule geschwänzt – und damit einigen Ärger riskiert, um einen ganzen Tag vor einer Frauenarztpraxis auf Naomi Fine zu warten. Dieses Mal hatte sich das Warten ausgezahlt, aber wie oft hatte ich schon stundenlang umsonst herumgestanden und (außer kalten Füßen
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