Fame Junkies
nicht zwei komplette Ausstattungen, bloß weil wir geschieden sind. Und außerdem hätte ich zu viel Angst, dass ihm etwas passieren könnte, während er bei deinem Vater ist.«
»Aber du weißt doch auch, dass immer etwas passieren kan n …«
Mom hob den Kopf und sah mich wütend an. Unter ihrem linken Auge zuckte wieder der kleine Muskel. Natürlich wusste sie genau, worauf ich hinauswollte. Die wenigsten Patienten, die unter der Art von Muskeldystrophie wie Alex leiden, werden älter als fünfundzwanzig. »Ich möchte nicht, dass du so etwas sagst. Die medizinische Forschung macht ständig Fortschritte und es kann durchaus sein, dass die Situation in ein paar Jahren ganz anders aussieht.«
Natürlich war es möglich, dass sie Recht behielt, aber Muskeldystrophie ist nun mal schon vor zweihundert Jahren das erste Mal als Krankheit beschrieben worden und die Menschen, die heute daran erkrankt sind, leben trotzdem kaum länger als damals. Aber ich sagte nichts, um ihr nicht noch mehr wehzutun.
Meine Mutter war einen Moment lang ganz still und ich wusste, dass sie auf Geräusche aus Alex’ Zimmer horchte. Dann stand sie auf, küsste mich auf die Stirn und ging aus der Küche, als wäre sie auf Autopilot geschaltet. Sie würde nach Alex sehen, die Arbeiten erledigen, die am Nachmittag liegen geblieben waren, sich überlegen, was wir zu Abend essen könnten, Elena nach Hause schicken, Alex Gute Nacht sagen und dann todmüde ins Bett fallen – und morgen würde der ganze Kreislauf wieder von vorn beginnen.
Dass ich gestern Abend in einer Talkshow in L.A. aufgetreten, erst vor knapp neun Stunden auf dem JFK gelandet war und einen anstrengenden Schultag hinter mir hatte, schien sie in der Aufregung um Alex komplett ausgeblendet zu haben.
Und obwohl ich wusste, dass es egoistisch war, konnte ich nichts dagegen tun, dass ich enttäuscht war.
AVY
April, 10. Klasse – im Tijuana Trolley
Wenn meine Eltern nicht solche gottverdammten Spießer wären, würde ich jetzt nicht vor Kälte zitternd mit dicken Bündeln Drogendollars um den Bauch geklebt in diesem dämlichen Zug hocken, sondern wäre mit ziemlicher Sicherheit noch in New York – also genau da, wo sie mich gern hätten. Selbst schuld, kann ich da nur sagen. Wer nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen, muss eben die Konsequenzen tragen.
Die Rolle bei Rich and Poor wäre die Chance gewesen. Ich krieg jetzt noch eine Stinkwut, wenn ich darüber nachdenke, was meine Eltern mir damit angetan haben. Von wegen »das ist nur zu deinem Besten« – die haben doch keine Sekunde lang an mich gedacht. Klar, dass ich sie hasse, oder? Ich kann es echt immer noch nicht fassen. Ich meine, hallo? Das ist mein Leben und eigentlich müsste ich selbst entscheiden dürfen, was ich damit machen will. Aber nein, sie wissen ja immer alles besser. Dabei haben sie es in Wirklichkeit einfach nicht ertragen, dass ich nicht so funktioniert hab, wie sie es sich vorgestellt haben. Und dann auch noch ständig diese Sprüche: »Eines Tages wirst du verstehen, dass wir Recht hatten.« Blablabla. Das Einzige, was ich verstehe, ist, dass es ihnen nie wirklich um mich gegangen ist, sondern immer nur um sich selbst. Es war ja schließlich nicht so, als hätte ich in irgendeine Sekte eintreten wollen. Ich wollte doch bloß zwei Monate lang bei dieser Show mitmachen. Zwei mickrige Monate! Die Schule hätte ich trotzdem geschafft, da bin ich mir ganz sicher. Ich hab ihnen immer gesagt, dass ich Schauspieler werden will, dass das der einzige Beruf ist, den ich mir für mich vorstellen kann. Und sie? Spulen immer wieder die gleichen Sprüche ab: »Du bist noch zu jung, Avy, um wirklich zu wissen, was du später tun willst.« Und: »Mach lieber etwas Vernünftiges. Eine Rolle in einer Realityshow wird dir später nicht helfen, an einer guten Uni angenommen zu werden.«
Hallo? Hört mir eigentlich irgendjemand zu? Hey, Mom, hey, Dad? Wie oft hab ich euch gesagt, dass ich nicht vorhabe, jemals zu studieren? Das brauche ich auch nicht. Von den ganzen wirklich großen Schauspielern hat kaum einer studiert. Und wenn, dann höchstens ein, zwei Jahre. Diese Rolle bei Rich and Poor hätte mir auf dem Weg zu meinem Traumberuf so viele Türen geöffnet … aber diese Türen habt ihr ja erfolgreich zugeschlagen. Vielen Dank auch. Das war meine große Chance. Meine erste richtig große Chance. Genau das, wovon ich geträumt habe, seit ich überhaupt von irgendwas träumen kann. Und ihr habt sie mir kaputt
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