Fame Junkies
Herbstferien in der siebten Klasse dort, um euch für ein Projekt über das alte Ägypten die Mumien anzusehen. Du trägst einen schwarzen Pulli mit weitem Rollkragen, Avy ein graues Hoodie. Eure Schultern berühren sich und ihr grinst in die Kamera, die Avy über euch gehalten hat, und streckt beide die Zunge heraus. Das Foto ist keine drei Jahre alt und doch hat sich seitdem alles verändert. Damals wart ihr noch ganz normale Teenager. Ihr seid zur Schule gegangen, habt eure Hausaufgaben erledigt, regelmäßig eure Lieblingsserien geschaut und euch gefragt, ob ihr bei euren Mitschülern beliebt wart.
Es ist gar nicht lange her.
Und trotzdem längst Geschichte.
Auf der nächsten Seite kleben Zeitungsausschnitte von den Fotos von Tatiana Frazee, die du damals im Cafazine aufgenommen hast. Warum , wirst du dich fragen, hat Avy sie in sein Album geklebt?
Du wirst umblättern und auf den nächsten Seiten den Artikel aus der New York Weekly finden. NEW YORKS JÜNGSTE PAPARAZZA.
Dahinter klebt der Artikel aus der New York Press : BABY-PAPARAZZA SCHLÄGT WIEDER ZU!
Und dann wird die Erkenntnis dich treffen. In diesem Album geht es nicht um Avy. Es geht um … dich.
JAMIE
März, 10. Klasse – 6. Tag in L.A.
Der Typ mit dem Fernglas klettert vom Gerüst und kommt auf mich zu. Er trägt unterhalb der Knie abgeschnittene Jeans, hohe olivgrüne Springerstiefel und einen grünen Armeeparka, der für das Wetter eigentlich viel zu warm ist. Seine langen Haare sind fettig, er ist unrasiert und in seinem flackernden Blick liegt etwas Unheimliches.
»Wer bist du?«, fragt er.
»Wer sind Sie?«, frage ich mutig zurück. »Und wieso bespitzeln Sie Willow Twine?«
Erstaunlicherweise funktioniert der Bluff. Er ist irritiert. »Ic h …«, stammelt er. »Ich muss sie beschützen.«
»Wovor?«
»Vor anderen Leuten. Man weiß nie vor wem. Das ist das Problem.«
Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Der Kerl ist ein Spinner. Ich kenne solche Typen aus New York, wo sie einem auf der Straße oder in der U-Bahn ständig über den Weg laufen. Das ist der erste kalifornische Spinner, dem ich begegne, aber vielleicht ist genau das mein Glück.
»Wissen Sie was? Ich glaube, Sie haben Recht«, sage ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. »Sie müssen Willow beschützen. Gut, dass Sie das Grundstück im Blick haben. Bleiben Sie am besten hier und sorgen Sie dafür, dass niemand anders über die Mauer klettert.«
Er runzelt die Stirn und zieht besorgt die Augenbrauen zusammen. »Wieso? Ist ihr etwas passiert?«
»Noch nicht. Aber sie schwebt in Gefahr. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Hören Sie – falls jemand fragt: Sie haben mich nicht gesehen, okay? Sie haben niemanden gesehen und auch mit niemandem gesprochen, verstanden? Achten Sie darauf, dass keiner über die Mauer klettert.«
Ich habe zwar ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn in seiner fixen Idee auch noch bestärke, aber das ist ein Notfall. Ich nicke ihm zu und gehe dann langsam auf die von Palmen gesäumte Straße zu. Kurz darauf bin ich schon an der nächsten Kreuzung. Zwei blonde Frauen in pinkfarbenen Tights joggen auf der Stelle, während sie darauf warten, dass die Ampel auf Grün schaltet. Plötzlich kommt quietschend ein Auto um die Ecke gebogen. Es ist Sam und ich könnte schwören, dass er mich direkt ansieht. Ich erstarre, aber er fährt einfach weiter.
Die Ampel schaltet um und die Frauen joggen über die Straße, aber ich bleibe verwirrt stehen. Wieso ist er weitergefahren? Sam hat mich gesehen. Er muss mich gesehen haben.
Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hat er nur auf die langen Beine der Joggerinnen geachtet.
Vielleicht habe ich – wieder einmal – unglaubliches Glück gehabt.
DER STAAT KALIFORNIEN GEGEN RICHARD CURTIS HILDEBRANDT
Abschrift der Zeugenaussage von
M s DORIS ANNE REMLEE
DORIS ANNE REMLEE schwört die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen und legt vor Gericht folgende eidesstattliche Aussage ab:
Mein Name ist Doris Anne Remlee, wohnhaft Nummer 41, Fairweather Court in Los Angeles. Bis vor Kurzem war ich M s Twines persönliche Assistentin und habe sie in allen beruflichen wie auch privaten Belangen unterstützt.
Frage: Beinhaltete Ihre Tätigkeit auch das Sichten und die Beantwortung ihrer Fanpost?
Antwort: Ja.
Frage: Sind Sie dabei auf den Angeklagten aufmerksam geworden?
Antwort: Ja.
Frage: Können Sie dem Gericht erläutern, inwiefern Ihnen der Angeklagte auffiel?
Antwort: M
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