Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
Waldoff und der Otto Reutter uff, jawoll! An deener Stelle würd ick da mal vorbeikieken!«
Ricky, die mittlerweile bereit war, sich an jeden Strohhalm zu klammern, der ihr das Schicksal einer Bürogehilfin ersparen konnte, nahm den Tipp nur zu gerne auf. Bis zum Folies-Caprice war es nur ein Katzensprung.
*
» Du machst waaas?« Valentin glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.
» Ich bin ab sofort Tänzerin im Folies-Caprice, du hast ganz richtig gehört.« Ricky nahm wie eine Diva ganz selbstverständlich auf dem schäbigen Stuhl vor seinem mit Noten und Papierkram überfüllten Schreibtisch Platz und strahlte wie schon seit Wochen nicht mehr. » Ich verdiene zwar nicht sehr viel, aber damit werde ich fürs Erste über die Runden kommen. Sogar den Tanzunterricht bei Joel werde ich mir weiterhin leisten können.«
» Heißt das, du hast eine Solonummer bekommen?« Valentin freute sich aufrichtig für sie. Doch dann bemerkte er, dass ihr Gesicht von einer leichten Röte überzogen wurde.
» Nun ja, ich werde nicht gerade als Solotänzerin auftreten«, gestand sie etwas kleinlauter. »Ich werde eher so mit einigen anderen im Hintergrund einer Revue tanzen.«
Er sah sie einen Augenblick sprachlos an, dann begann er reichlich verärgert den Kopf zu schütteln. Dafür hatte er Ricky nicht ausgebildet. Diese Option war einfach lächerlich.
» Das glaub ich nicht«, wetterte er los. » Wie kannst du dich nur auf so ein niederes Niveau einlassen? Du besitzt eine hervorragend ausgebildete Stimme, bist mittlerweile eine vielversprechende Tänzerin mit unglaublichem Talent. Und das alles willst du bei diesem dilettantischen Tingeltangel verschleudern?«
» Das Folies-Caprice ist kein Tingeltangel!«, versuchte sich Ricky zu wehren. Seine offensichtliche Kritik verletzte sie ernsthaft. Valentin tat das leid, auf der anderen Seite fühlte er, dass es seine Pflicht war, sie vor solch einem Unfug zu bewahren.
» Du darfst dort einfach nicht hin!« Er bemühte sich um einen etwas ruhigeren Tonfall, um sie nicht noch mehr gegen sich aufzubringen. » Du kannst doch viel mehr.«
Doch Ricky zeigte sich uneinsichtig. » Im Folies-Caprice treten auch Größen wie Claire Waldoff und Otto Reutter auf!«, meinte sie trotzig. » Ich werde zumindest im gleichen Haus wie sie auftreten!«
Valentin raufte sich die Haare. Wie konnte Ricky nur so naiv sein! Ausgerechnet heute fühlte er sich selbst ziemlich erschlagen. Er war müde von dem vielen Papierkram und hatte überdies auch noch Ärger mit dem Gastdirigenten. Ihm war ganz und gar nicht nach einer Auseinandersetzung zumute, aber er konnte auch nicht zulassen, dass sie den falschen Weg einschlug. Also ließ er nicht locker.
» Wenn du dein Talent als drittklassige Tänzerin verschleuderst, dann wirst du niemals wieder die Chance haben, auf einer großen Bühne aufzutreten. Kein Intendant gibt einer Sängerin eine Chance, die einmal im Varieté als Go-go-Girl aufgetreten ist.«
» Mir gibt auch so kein Intendant eine Rolle«, widersprach ihm Ricky mit einer Heftigkeit, aus der viel Verbitterung sprach. » Anscheinend ist es schon ein Makel, wenn man in Afrika aufgewachsen ist. Da kann ich genauso gut ans Varieté gehen.«
» Aber doch nicht als Tiller Girl!« Valentin erinnerte sich plötzlich an einen Artikel, den er erst kürzlich im Berliner Tageblatt gelesen hatte. Er kramte danach auf seinem Tisch und fand den Artikel tatsächlich.
» Hier! Da siehst du, was anständige Leute von solchen Revuegirls halten.« Er schob Ricky die Zeitung zu, die sie nur widerwillig aufnahm. Der Artikel stammte ausgerechnet von dem renommierten Wiener Autor Alfred Polgar. Er schrieb darin:
» Girls nennt man Gruppen jüngerer Frauen, die bereit sind, ziemlich entkleidet auf einer Bühne genau vorgeschriebene parallele Bewegungen zu machen. Der Zweck ihres Erscheinens und Tuns ist, Zuschauer erotisch anzuregen und diese hierdurch über das, was sonst auf der Bühne vorgeht, zu trösten.«
Valentin hatte gehofft, Ricky damit die Unsinnigkeit ihres Vorhabens vor Augen führen zu können, doch stattdessen knallte sie ihm wütend die Zeitung auf den Tisch und sprang auf. » Ich dachte immer, du hältst zu mir. Anstatt dich mit mir darüber zu freuen, dass ich endlich am Theater eine Beschäftigung habe, machst du mir Vorwürfe?«
» Ich mache dir keinesfalls Vorwürfe.« Auch er begann allmählich aus der Haut zu fahren. Wieso verstand sie denn nicht, dass er sie nur vor einem dummen Fehler
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