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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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Königin Victorias an – wurde da nicht eine ziemlich merkwürdige Art von Kindererziehung praktiziert? Langsam findet er wieder in das Kapitel hinein, der Spaziergang tut ihm gut, das Unbehagen der letzten ein, zwei Stunden ist verflogen. Er fragt sich, was Alison nachher wohl auf den Tisch bringt. Gut möglich, dass er später an seinen Schreibtisch zurückkehren kann; seinen Erfahrungen nach lässt es sich abends oft gut arbeiten.
    Makkaroni, mit Käse überbacken. Das erkennt er, sobald er die Haustür öffnet. Ein Lieblingsessen der Kinder. Er schwenkt gleich in sein Arbeitszimmer ab, um rasch ein paar Notizen zu machen.
    Als er den Raum betritt, spürt er sofort, dass etwas nicht stimmt. Unordnung und Verwüstung liegen in der Luft. Der Hund rutscht mit einem Plumps vom Sessel und wedelt mit dem Schwanz. Aber um den Hund geht es hier nicht. Jetzt hat Charles es gesehen – auf dem Fußboden, auf dem Schreibtisch.
    Papier. Aber Papier, wie es niemals sein sollte. Was er sieht, ist Papier in Streifen, in Schnipseln, lange weiße Fetzen, als hätte hier ein Schneesturm gewütet – ein Schneesturm von Papierspaghetti, dessen Niederschlag den Teppich bedeckt, vom Schreibtisch herunterrieselt. Ein Papierwust anstelle des ordentlichen Manuskriptstapels, den er zurückgelassen hat.
    Er stürzt sich darauf. Er findet ein paar unversehrte Seiten. Aber das meiste ist zersprengt, zu einem Brei weißer Streifen zerschnitten, auf dem Wortfetzen, Buchstaben, Satzzeichen tanzen. Hier lässt sich nichts retten, hier gibt es keine erste Hilfe. Der Täter, wer auch immer, war äußerst gewissenhaft.
    Charles packt eine Handvoll Papier und stürmt in die Küche. Die Familie ist versammelt, die meisten sitzen schon am Tisch, Alison steht am Herd vor einer dampfenden Form Makkaroni mit knuspriger, goldener Kruste. Sie dreht sich um: »Da bist du ja, Schatz …« Dann wird ihr Blick starr: »Oh …«
    »Wer war das?«, brüllt Charles. »Wer von euch?« Papierstreifen rinnen ihm aus der Faust. Alle Gesichter sind ihm zugewandt. Alle scheinen überrascht, entsetzt.
    »Wer?« fragt Charles gebieterisch. Ruhiger jetzt, eindringlich, konzentriert. » Wer war in meinem Arbeitszimmer und hat mein Manuskript zerschnitten?« Sein Blick schweift über die acht Gesichter, und ihm kommt die Erkenntnis, dass er heute mindestens vier der Anwesenden gekränkt hat; vier haben ihn heute schon mit einem Blick tiefer Verbitterung angesehen.
    Schweigen. Alisons Hand hängt mit dem Servierlöffel in der Luft. Paul sieht aus dem Fenster. Gina starrt ihren Vater an. Die Zeit steht still.
    Clare fragt: »Kriegen wir jetzt die Makkaroni?«

Die Silberhochzeit
    »Warst du das?«, fragt Philip.
    »Nein.«
    Sie liegen im Bett, in ihrer Wohnung. Gina starrt an die Decke.
    »Wer dann?«
    »Hm«, sagt sie, »ich weiß nicht. Vielleicht Paul. Vielleicht auch nicht.«
    »Hast du ihn nie gefragt?«
    »Darüber reden wir nicht«, sagt Gina.
    »Aber warum denn nicht?«
    Gina zuckt mit den Achseln. »Wer weiß?«
    Sie schweigen eine Weile. Philip sagt: »Es hat schon auch eine komische Seite. Rückblickend. Damals wohl nicht.«
    »Nein. Da hat keiner gelacht, kann ich dir sagen. Das am allerwenigsten.«
    Philip überlegt. »Sandra? Sie wirkt ein bisschen … hinterhältig.«
    »Nein. Das wäre nicht ihre Art gewesen.«
    Wieder eine Pause. Philip ist sichtlich fasziniert. »Eine der Erwachsenen? Unmöglich, oder?«
    »Ingrid oder meine Mutter?« Gina ist nicht im Geringsten erschüttert. »Nicht undenkbar.«
    »Schau an! Ein interessanter neuer Aspekt. Aber ich tippe auf die Kleinen, Katie und Roger. So zum Spaß.«
    Gina schüttelt den Kopf. »Katie und Roger waren die Braven. Und Clare war erst fünf oder sechs.«
    »Hat er das Buch veröffentlicht?«
    »Klar doch. Es ist ziemlich gut angekommen. Er war oft im Kulturradio und hat über den Jugendkult gesprochen.« Gina lächelt.
    »Und gleichzeitig, im trauten Heim … Erzähl mir mehr. Manchmal glaube ich, du enthältst mir einiges vor.«
    »Selbstverständlich«, sagt Gina.
    Er dreht den Kopf und sieht sie an. »Aha. Hab ich’s mir doch gedacht.«
    »Aber ich weiß sowieso nicht alles. Schließlich waren wir zu sechst. Oder zu acht, mit ihnen.«
    »Dazu noch Ingrid. Zu neunt also. Ich verstehe, was du meinst. Aber eine Version kann ich doch hören.«
    Jetzt sieht Gina ihn an. »Warum interessiert dich das so?«
    Er grinst. »Na, die liebe Familie … Familien anderer Leute findet doch jeder spannend. Mir geht es

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