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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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vor allem um dich . Wo du herkommst.«
    »Ach so«, sagt Gina. »Verstehe. Du bist scharf auf Einblicke. Warum ich so bin, wie ich bin.«
    »Nichts derart Triviales. Ich möchte einfach ein umfassenderes Bild. Was du so alles im Kopf abgespeichert hast.«
    »Ach, das. Das ist zum Glück nicht übertragbar.«
    »Wann sind denn alle ausgezogen? Ich meine, endgültig?«
    Gina denkt nach. »Das ging nach und nach. Ich war sogar die Erste. Aber ganz weg waren wir nie. Zu gewissen Anlässen bestand Anwesenheitspflicht. An Weihnachten. An den Geburtstagen. Zur Silberhochzeit. Ach ja, diese Silberhochzeit.«
    »Manche von euch kann ich nicht sehr gut ausmachen, sie stehen im Schatten. Katie zum Beispiel.«
    »Katie war lieb. Ist sie vermutlich immer noch. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.«
    *
    Katies Geschenk für Mum und Dad ist eine silberne Schale, die sie am Samstag auf dem Trödelmarkt erstanden hat. Zwei Samstage hintereinander hat sich Katie dort eigens auf die Suche gemacht und mehr dafür ausgegeben, als sie sich leisten kann. Sie wird ihre Ausgaben eine Weile zurückschrauben müssen, obwohl es da nicht mehr viel zu schrauben gibt. Ihr Stipendium schrumpft rasch dahin, und das bisschen Extrageld von ihren Eltern reicht nicht weit. Mehr können sie ihr natürlich nicht geben, Roger und Clare wollen ja auch noch studieren.
    Sie hat die Schale in blaues Seidenpapier gewickelt und auf ein kleines silbernes Kärtchen geschrieben: »Für Mum und Dad, alles Liebe von Katie.« Das Geschenk ist in ihrem Rucksack, und der liegt oben auf der Gepäckablage; ab und zu wirft Katie einen Blick hinauf, ob er noch da ist, in dem vollen Zug könnte ihn leicht jemand mitgehen lassen.
    Sie verpasst nun die Geburtstagsparty ihrer besten Freundin. Nun ja. Das lässt sich nicht ändern. Trotzdem muss sie jetzt daran denken; dieser Mike, der ihr immer besser gefällt, wird da sein, und Sophie auch – ihr gefällt Mike ebenfalls ziemlich gut. Katie versucht diesen Gedanken abzuschütteln und starrt aus dem Fenster, hinter dem die Dämmerlandschaft vorbeirast, überlagert von ihrem eigenen Gesicht – einem kleinen, sorgenvollen Gesicht, von widerspenstigen Locken umrahmt, so vertraut wie zutiefst fremd. Manchmal staunt Katie, dass sie schon zwanzig ist; ein Teil von ihr scheint immer noch acht, zehn oder zwölf zu sein, immer noch in Allersmead, wo alles weitergeht wie eh und je. Sie hat zuweilen fast Schuldgefühle, wenn sie in ihrem Wohnheimzimmer aufwacht, ein anderer Mensch.
    Aber jetzt kommt es ihr bereits seltsam vor, nach Hause zu fahren. Natürlich ist sie noch nicht richtig ausgezogen – in den Ferien kehrt sie immer zurück. Aber es ist, als wäre sie nur noch aus Höflichkeit dort. Sie ist jetzt zum Absprung bereit. In einem Jahr oder so wird sie ganz weg sein, wohin auch immer es sie verschlägt, wo sie einen Job bekommt, ein Apartment, ein WG-Zimmer. Macht ihr das Angst? Oder ist es aufregend? Sie weiß es nicht. Ihr Gesicht, das neben ihr herfliegt, wirkt unruhig.
    Anscheinend kommen alle. »Ja«, meinte Roger gestern Abend am Telefon. Nach einer winzigen Pause, die Katie mit geübtem Ohr sofort heraushörte. Sie kennt Roger; sie ist mit ihm aufgewachsen. Ach, aufgewachsen sind sie alle miteinander, aber sie und Roger waren unzertrennlich. Sie weiß, wie er reagiert, wie er denkt.
    »Alle?«
    »Ja«, wiederholte er. »Es gibt schon ganz schön Stress hier.«
    Er sprach mit gedämpfter Stimme. Sie wusste genau, wo er stand: in der Eingangshalle, immer schon der Platz für das Telefon. Andere waren in Hörweite, Mum und Ingrid in der Küche, Dad in seinem Arbeitszimmer, vielleicht auch Clare irgendwo.
    Sie seufzte. »Wegen Paul?«
    »Ja. Der hat ewig nicht zurückgerufen. War unerreichbar. Mum hat schon durchgedreht. Schließlich eine Nachricht, dass er es wahrscheinlich schaffen wird. Wahrscheinlich. Mum rotiert immer noch.«
    »Und Sandra?«
    »Hat ein ziemliches Getue wegen eines Events gemacht, den sie verpasst. Aber sie kommt.«
    »Gina?«
    »Gina kommt.«
    Dann werden also alle da sein. Wahrscheinlich. Ach, Corinna und Martin offenbar auch. Das ist übrigens ein echtes Ereignis. Die beiden beehren Allersmead nicht oft mit einem Besuch. Katie fühlt sich von Corinna eingeschüchtert; die ist so klug und sieht einen immer so taxierend an. Martin ist nicht viel besser. Er weiß alles über Shakespeare, was es zu wissen gibt, hat haufenweise Bücher geschrieben – worüber soll man sich mit dem bloß

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