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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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unterhalten? Wenn Corinna und Martin aufkreuzten, hatte sich Katie immer in den Hintergrund verdrückt. Gina wird besser mit ihnen fertig, Sandra auch, der ist es völlig egal, was jemand von ihr hält.
    Heute Abend soll ein Familienessen stattfinden, zu dem sie rechtzeitig eintreffen wird, und morgen ein Mittagsbuffet für einige Freunde und Nachbarn. Für ein paar alte Schulfreundinnen von Mum und die Teilnehmerinnen ihres Kochkurses – die Gruppe, die einmal die Woche nach Allersmead kommt, um die höheren Weihen der Kochkunst zu empfangen, Mums erster Versuch, Geld zu verdienen, warum auch nicht? Dazu noch ein paar Bekannte von Mum, und … hm, Dad hat eigentlich keine Freunde, wenn man es sich recht überlegt.
    Fünfundzwanzig Jahre. Das ist wirklich eine lange Zeit. Wirklich eine lange Ehe. Katie sitzt im Zug und betrachtet diese lange Flucht der Jahre, gleichsam ein Schienenstrang in die Vergangenheit, der so lang ist wie ihr eigenes Leben und dann noch ein Stück länger. Ganz am Ende stehen ihre jungen Eltern, aber sie kann sich diese Menschen nicht vorstellen. Ein junger Dad? Du lieber Himmel, nein. Eine schlankere, jugendlichere Mum? Eine kinderlose Mum? Schon gar nicht. Ihre Eltern verändern sich nicht, sie sind unwandelbare Figuren, vor Langem in einer Form erhärtet, die der jetzigen gleicht; so waren sie schon damals – und sind es noch immer – für die vielen Katies, die bis heute im Garten von Allersmead spielen, mit Roger im Sandkasten schaufeln, in den Gruselschrank geschubst werden, das Feenkostüm aus der Verkleideschublade ziehen, mit dem ganzen Geschwistertrupp in den Keller hinunterlaufen.
    Eigentlich hat mir das Kellerspiel nie gefallen, denkt sie, aber wenn alle anderen spielten, musste man eben mitspielen. Es hatte ihr auch nicht gefallen, wenn Gina und Sandra stritten, wenn Dad Paul zur Schnecke machte, und wenn … wenn was? Wenn irgendetwas umherschlich, etwas Unangenehmes, wie in einer dunklen Nacht Schatten vor dem Fenster, aber nicht draußen, sondern drinnen, im Haus. Was meine ich eigentlich?, fragt sich Katie. Ich weiß es nicht, wusste es schon damals nicht.
    Der Zug fährt im Bahnhof ein. Katie hebt ihren Rucksack herunter, steigt aus, geht hinaus zur Bushaltestelle und hat Glück, da wartet ein Bus, der in ihre Richtung fährt.
    Sie steigt an der Abzweigung aus und geht das letzte Stück nach Allersmead zu Fuß. Wie oft ist sie hier schon entlanggelaufen? Jeden Schultag. Zwölf Schuljahre lang. Multipliziert mit … Ach, jedenfalls Tausende von Malen. Schon als Fünfjährige, dann die ganzen Jahre, als sie immer älter wurde, bis sie achtzehn war, und dann hatte sie den höheren Schulabschluss in der Tasche, einmal Sehr Gut und zweimal Gut in den drei Prüfungsfächern, das reichte für die Uni in Manchester. Auf dieser Mauer hat immer die Katze mit dem rötlichen Fell gesessen, und bis zu diesem Laternenpfahl ist sie immer mit Roger um die Wette gerannt, und in diesen Gully haben sie Bonbonpapierchen geworfen. Sie und Roger haben immer aufeinander gewartet und sind gemeinsam losgezogen. Als Clare in die Schule kam, haben sie auch auf sie gewartet. Die anderen sind meistens allein gegangen, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Paul, Gina, Sandra – einsame Gestalten in ein paar Metern Abstand. Manchmal haben sich Paul und Gina zusammengetan, manchmal Gina und Sandra, aber im Allgemeinen waren sie getrennt unterwegs. Katie kann sie immer noch sehen, in verschiedenen Inkarnationen, kleineren, größeren. Gina und Sandra tragen die rotbraunen Kittel der Schuluniform, aber Sandra schafft es, dem ihren einen eleganten Touch zu geben, was an der Art liegt, wie sie den Gürtel bindet, und an ihrem Gang.
    Wenn ich mal Kinder habe, denkt Katie, dann vielleicht nicht so viele. Aber solche Gedanken verfliegen sofort. Sie sieht nicht weiter als bis zum Examen, manchmal nicht einmal bis dahin. Lebt immer noch von Woche zu Woche, von Monat zu Monat. Sie hat ihre Freunde im Kopf, das Kaleidoskop ihrer Beziehungen, Chaucer, Donne und George Eliots Middlemarch , und wenn sie einen Ferienjob kriegt, kann sie vielleicht genug sparen, um im Sommer mit Freunden nach Frankreich zu fahren. Sie ist immer noch mit Allersmead verbunden, aber das Band ist dünn und wird bald reißen. Dann ist sie allein da draußen und wird das Beste daraus machen, das weiß sie – sie wird immer ganz gut mit allem fertig. Aber im Moment befasst sie sich nicht viel mit diesen Fragen, es ist auch sonst viel

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