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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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Maschine und beginnt zu tippen. Kapitel zwölf kriecht hervor, Zeile um Zeile, Absatz um Absatz. Charles taucht ein in den Fluss seiner Gedanken, in das Gebäude der Worte, der Sätze. Die Zeit vergeht, aber für ihn scheint sie stillzustehen. Er blickt gelegentlich aus dem Fenster, ohne etwas wahrzunehmen; in seinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Er ist anderswo, in seiner inneren Welt, jagt einem Argument, einer Beweiskette nach.
    Alison kehrt zurück. Charles bemerkt das Zuschlagen der Tür kaum.
    Alison schleppt die schweren Taschen in die Küche und packt die Einkäufe aus. Ihr ist heiß; sie ist müde und schlecht gelaunt. Der Motor ist ständig abgestorben, sie saß an einer Ampel fest, von allen Seiten angehupt; der Parkplatz war voll, und sie musste zehn Minuten lang die Reihen abfahren; es gab kein Lamm, damit fällt die für morgen geplante Lammschulter flach; es gab auch keinen Vollkorntoast und kein Olivenöl. Man sollte Supermärkte am Samstagnachmittag eben meiden, aber sie hatte keine Wahl; früher in der Woche ist sie irgendwie nicht hingekommen. Heute ist ein schlechter Tag, stellt sich heraus; sie fühlt sich vom Haus, von der Familie niedergedrückt, anstatt fest im Sattel zu sitzen, die Zügel in der Hand, in ihrem Element. Da war die Sache mit Paul, und Ingrid ist seit einiger Zeit so komisch, Gina richtig schwierig, und mit der Oberhitze des Herds stimmt auch was nicht, und das verdammte Auto … Und ihre Tage hat sie auch noch.
    Sie steht in der Küche, überraschend allein in diesem Haus, in dem man nie allein ist, und fühlt sich richtig unwohl in ihrer Haut. Natürlich ist Charles da, fällt ihr ein; sie spürt den Drang – einen verhängnisvollen, unwiderstehlichen Drang –, Charles in ihr Missbehagen hineinzuziehen. Sie weiß, das ist unklug, sie sollte es besser nicht tun, aber irgendetwas treibt sie dazu, den Rest der Einkäufe auf dem Tisch stehen zu lassen, aus der Küche zu gehen, die Eingangshalle zu durchqueren und die Tür des Arbeitszimmers zu öffnen.
    Alison kommt nicht oft zu Charles ins Arbeitszimmer. Und wenn, dann beschleicht sie das unheimliche Gefühl, sie sei aus dem Haus herausgetreten, aus ihrem Haus, ihrem gemeinsamen Haus, angekommen an einem fremden Ort. Hier ist sie nicht zu Hause. Der Raum ist ihr nicht vertraut, der riesige, mit Büchern und Papieren übersäte Schreibtisch, die Wände voller Bücherregale – nie hat sie sich die Bücher näher angesehen –, der Kamin mit der gekachelten Einfassung (De Morgan, sagt Charles, und Alison wiederholt dies stets vor Besuchern, denn De Morgan steht offensichtlich hoch im Kurs), der Perserteppich aus Charles’ Elternhaus, der alte Ledersessel. Sie kennt die Landschaft hier, aber gleichzeitig fühlt sie sich als Eindringling, als Fremde, als hätte sie ihren eigenen, heimeligen Lebensraum verlassen.
    »Ich bin wieder da, Schatz«, sagt sie.
    »Mmm …« Charles tippt weiter.
    Alison fährt hastig fort. »Das Auto spielt verrückt, es bleibt dauernd stehen, die Fahrt war schrecklich. Ich muss es in die Werkstatt bringen, aber natürlich ist am Sonntag niemand da, zu dumm, ich brauche es am Montag für Pauls Zahnarzttermin. Und Charles, ich möchte wegen Paul mit dir reden, wegen dieser Sache heute früh, ich meine, du hast sicher recht, Amsterdam ist keine gute Idee, aber ich frage mich, ob etwas, äh, nicht so weit weg im Ausland, vielleicht Brighton …«
    Charles hört auf zu tippen. Die Wörter überschlagen sich nicht mehr in seinem Kopf, es bilden sich keine Sätze mehr. Alisons Stimme bricht herein, erreicht ihn als zusammenhanglose Folge, etwas über ein Auto, einen Zahnarzt, Paul.
    »Was ist mit Paul?« Er blickt stirnrunzelnd auf die Schreibmaschine und liest den letzten Absatz noch einmal durch.
    Alison wiederholt, was sie gerade gesagt hat, mit einigen Zusätzen. Paul muss etwas mit anderen Jungs unternehmen; sein Freund Nick ist wirklich ganz vernünftig; sie fragt sich, ob sie Paul genug Taschengeld geben; Jungen in diesem Alter sind so schwer zu verstehen, und natürlich hatten sie noch keinen vierzehnjährigen Jungen.
    Charles hört das meiste davon. Scharf sagt er, er sei selbst ein vierzehnjähriger Junge gewesen und erinnere sich gut an diesen Zustand. Paul werde darüber hinwegkommen, das täten die meisten, darauf könne man bauen. So lange sei allgemeiner Stoizismus gefragt. Charles’ Hände kehren zu den Tasten zurück.
    Alison bebt vor Gereiztheit, was ihr sonst nicht passiert; wer

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