Familienalbum
Schweigen.
»Ich meine mich zu erinnern, dass du schwanger warst.«
»Ach, natürlich«, sagt Alison. »Wusst ich’s doch, dass da was war.«
Sie steigt ins Bett, und wieder fließen die Tränen.
Das Kellerspiel
Das Haus hört alles. Das Haus weiß Bescheid. Es weiß alles, was hier gesagt, was getan worden ist. Stumme Gespräche hängen in der Luft und wiederholen die Worte, die sich in den Köpfen festsetzen: »Ich bin ein Dienstmädchen«, »Ich meine mich zu erinnern, dass du schwanger warst«, »Wen von uns mochtest du am liebsten?«. Das Haus verwahrt dieses unzugängliche Archiv; auch die Menschen speichern die Dinge ab, dagegen lässt sich nichts machen. Immer wieder hören sie dieselben Worte. Sie nehmen diese persönliche Last aus Allersmead mit, wohin sie auch gehen, sie können sie nicht abwerfen. Vergangenheit und Zukunft werden eins – was gesagt worden ist, was gesagt werden wird. Und das Haus ein stummer Zeuge.
*
Gina sitzt im Fernsehstudio und wartet auf ihr Stichwort, und aus unerfindlichen Gründen fängt Paul an zu sprechen, seine Stimme dringt in die Gegenwart, steigt herauf von einem anderen Tag, aus einer anderen Welt: »Iss eine Spinne«, befiehlt er.
*
Der Keller ist kein Keller. Er ist, je nach Bedarf, der Pazifik, die Antarktis, die offene Prärie und vieles mehr. Wenn sie hinuntergehen, durchläuft er eine Metamorphose – die feuchten viktorianischen Ziegelmauern lösen sich auf, der knirschende Boden verschwimmt. Die Holzkisten, die kaputte Tischtennisplatte, der türlose Schrank werden zu Behausungen; der alte Rasenmäher ist ein Schlitten, ein Pferd, ein Schiff. Sie treiben alle auf einem Floß, fahren auf einem Schlitten zum Südpol, kämpfen vom Planwagen aus gegen Indianer – denn das alles spielt sich 1979 ab, da wimmelt es noch von Cowboys und Indianern. Und anderen Dingen. Der hintere Teil des Kellers, das dunkle Ende, wohin das Licht der Kellerfenster nicht mehr vordringt, dieses Ende ist Dalek-Land. Dort leben die Da leks, die kriegerischen Außerirdischen aus der Science-Fiction- Serie Doctor Who , und lauern unsichtbar im Finstern. Wenn man sie reizt, können sie jederzeit herauskommen. James Bond gehört die Steintreppe, von der obersten Stufe aus ballert er den Feind nieder und springt dann mit einem routinierten Satz in Sicherheit.
*
Paul ist immer James Bond. Bis … bis Sandra eines Tages sagt: »Dieses Mal bin ich James Bond.«
»Das geht nicht. Du bist ein Mädchen.«
Sandra kontert: »Wenn wir so tun können, dass jemand James Bond ist, dann können wir auch so tun, dass ich ein Junge bin.«
Das bringt Paul zum Schweigen; er grübelt nach, wie sich diese Logik umgehen lässt. Schließlich sagt er widerwillig: »Na gut. Aber nur dieses eine Mal.« Dann durchfährt ihn ein erschreckender Gedanke. »Aber ich bin nicht das Bond-Girl.«
*
Es kann Streit geben, es kann Einwände geben, aber im Moment, wenn alle die Treppe hinunterdrängen, um das Spiel zu spielen, sind sie in einem Ziel vereint. Irgendwie ist eine Kollektiventscheidung gefallen: Heute spielen wir Cowboy und Indianer, heute spielen wir Schiff.
Und es gibt noch ein anderes Spiel. Es ist nicht so dramatisch, verliert aber nie seinen Reiz; sie kommen immer wieder darauf zurück. Es hat keinen Namen, ist einfach ein Szenario, in das sie fast ohne Diskussion einsinken. Die Holzkiste wird zum Haus, in dem die Familie lebt. Paul ist immer der Vater. Gina ist meistens die Mutter, aber manchmal will auch Sandra die Rolle haben. Öfter jedoch zieht sie es vor, ein Kind zu spielen, eins der Kinder, meist das rebellische Kind, das widerspricht, das nicht gehorcht. Und so ist es meist Sandra, die eine Strafaufgabe erfüllen muss, um sich freizukaufen. Clare ist das Baby; manchmal muss sie es sich gefallen lassen, in ein Stück modriges Sackleinen gewickelt und in die Orangenkiste, das Kinderbettchen, gelegt zu werden. Eigentlich macht ihr das nicht allzu viel aus; friedlich lächelnd liegt sie da und nuckelt sogar am Daumen. Katie und Roger sind einfach Kinder, Familienmasse.
Das Familienleben verläuft nicht besonders harmonisch. Paul ist ein Paterfamilias alter Schule. Er fordert absoluten Gehorsam, absolute Unterwerfung. Die Erziehungsmethoden sind rigoros: Die Kinder müssen Teile eines zerfledderten Telefonbuchs auswendig lernen und ganze Zahlensäulen zusammenaddieren. Aber es herrscht auch eine gewisse schweigende Übereinkunft: Rituelle, stilisierte Proteste sind geduldet. Die Kinder seufzen,
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