Familienalbum
laut vom Sommer zu erzählen, den er und Corinna gerade in Italien verbracht haben: »… ein Kollege hat mir diese Villa zur Verfügung gestellt. Der ideale Ort, um ungestört zu arbeiten …« Clare und Katie haben Pauls Zustand erfasst, sehen sich mit hochgezogenen Augenbrauen an und fangen an, sich über einen Film zu unterhalten.
Gina holt ein Glas und füllt es halb mit Wein. »Mehr gibt’s nicht«, sagt sie leise zu Paul. »Kapiert? Jetzt iss und sei ein braver Junge.«
Paul scheint sich zu ergeben. Er fängt lustlos an zu essen. Alison sieht ihn besorgt an. »Du siehst müde aus, Schatz. Was hast du bloß getrieben?«
Roger schnaubt. Clare verdreht die Augen. »Mum«, sagt Gina. »Dieser Fasan ist fantastisch. Und wie kriegst du die Kartoffeln so hin? Du musst mir das Rezept aufschreiben. Jetzt, wo ich eine Wohnung habe, will ich anfangen, richtig zu kochen. Krieg ich zum Geburtstag von euch einen Le-Creuset-Topf?«
»… natürlich das Land von Piero della Francesca …«, doziert Martin.
Paul legt sein Besteck hin. Er trinkt einen großen Schluck Wein und blickt verschwommen in die Runde. »Hat jemand Geburtstag?«, erkundigt er sich.
»Also wirklich , Paul … Du lieber Himmel! Ich habe dir Einladungen geschickt und wochenlang Nachrichten aufs Band gesprochen. Wir feiern unseren Hochzeitstag . Silberhochzeit. Fünfundzwanzig Jahre!« Alison ist entrüstet, allerdings schwingt in ihrer Stimme auch Nachsicht mit.
»Oh, tut mir leid …« Paul starrt seine Mutter an. »Gratuliere. Fünfundzwanzig Jahre …« Er scheint darüber nachzudenken. »Damit bin ich vierundzwanzig, oder?«
»Natürlich«, sagt Alison munter.
»Und ich zweiundzwanzig«, platzt Gina schnell dazwischen. »Und so weiter und so fort, bis zu Clare, die schon ganze … zehn Jahre alt ist, stimmt’s, Clare?« Und vertiefen wir uns bloß nicht in Pauls genaues Geburtsdatum, das Thema lassen wir schön ruhen, seit jeher ein ausgewiesenes Sperrgebiet. »Und wir sind hier versammelt, um Mum und Dad und uns alle zu feiern, und jetzt trinken wir auf die nächsten fünfundzwanzig Jahre.« Sie hebt das Glas. Die anderen schließen sich an. Paul auch.
Er sagt: »Ich will noch mehr Wein.«
Gina erwidert sotto voce : » Ich will geht schon mal gar nicht. Reiß dich zusammen, ja?«
Man sieht richtig, wie Corinna ihre Vermutungen anstellt. Martin verfolgt das Italienthema weiter. Er erzählt Charles, dass er und Corinna dort ein Refugium auf Dauer suchen. Corinna unterbricht: Ja, vielleicht, aber wir denken auch an die Dordogne, unser Französisch ist besser als unser Italienisch. Charles starrt sie an, wie wenn er sich fragte, wer diese Leute sind. Alison sagt: »Natürlich spricht viel fürs Ausland, aber wir sind immer so gern nach Cornwall gefahren, als die Kinder noch klein waren, wir hatten so ein hübsches Haus in Crackington Haven, mehrere Sommer lang; dort ist Paul die Klippen hochgeklettert und konnte nicht mehr weiter, war das eine Panik, wir dachten, er würde abstürzen, du liebe Zeit – erinnerst du dich, Charles?«
»Lebhaft genug.«
Es entsteht eine kurze Gesprächspause; Paul nutzt sie und richtet den Blick auf seine Mutter: »Wer von uns war dein Liebling? Wen mochtest du am liebsten?«
Alle wissen, dass sie Alison jetzt nicht ansehen sollten, und die meisten schaffen es auch. Clare lässt die Gabel fallen. Sandra atmet tief und geräuschvoll ein. Gina kickt Paul gegen das Schienbein. Charles blickt teilnahmslos auf den Tisch.
»Also wirklich, Schatz! Was für eine alberne Frage!«, sagt Alison fröhlich. Sie steht auf. »Wer will einen Nachschlag? Es gibt noch viel Gemüse, und Charles kriegt sicher noch ein bisschen Fleisch von den Fasanen ab. Martin? Corinna?«
Alle, die möchten, bekommen eine zweite Portion. Paul lehnt ab und starrt mürrisch auf sein leeres Glas. Er knurrt Gina an: »Du hast mich getreten .«
»Stimmt auffallend«, murmelt Gina ihm zu. »Und jetzt reiß dich endlich zusammen, ja? Tu mir den Gefallen und halt die Klappe, bis du wieder nüchtern bist. Wo hängst du übrigens gerade rum? Hast du so was wie eine Adresse?«
Paul vermeidet eine klare Antwort.
»Und Arbeit?«
»Kleines Problem im Moment«, brummt Paul. »Bin bei Starbucks rausgeflogen.«
»Ah. Der Geldfluss stockt?«
Paul grunzt nur.
»Ich schlag dir einen Deal vor. Du machst den Rest des Abends keinen Muckser mehr und kriegst von mir einen Zehner, als Vorschuss aufs Weihnachtsgeschenk.«
Zum Abschluss gibt es eines von Alisons
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