Familienalbum
herumliegende Kabel, unverputzte Wände und Bauschutt, über den Sandra vorsichtig hinwegstakst, um nach Luigi zu suchen, der sie begeistert begrüßt. Sie versteht sich gut mit Luigi; dies ist schon ihr zweites gemeinsames Projekt. Luigi schätzt resolute Frauen und erkennt weiblichen Scharfsinn auf den ersten Blick. Sandras fließendes, aber zuweilen fehlerhaftes Italienisch ist für ihn eine Quelle der Belustigung, und er hat seinen Ehrgeiz darangesetzt, sie in die höheren Sphären des Bauvokabulars einzuweihen.
Gemeinsam brüten sie über einigen Broschüren. Luigi findet schwarzen Marmor gut, auch er kennt den Markt. Sie kabbeln ein wenig wegen der Türbeschläge, eine Frage des Preises und des Budgets. Dann klingelt Luigis Handy; er entschuldigt sich und geht zum Fenster hinüber.
Es folgt eine aufgeregte Unterhaltung. Er kehrt zurück; seine Tochter ist gerade entbunden worden, ein Junge. Der erste Enkel. Luigi ist überglücklich, dann dämpft er seinen Freudentaumel wieder. Ihm fällt ein, dass Sandra keine Kinder hat; da ist ein wenigTakt angebracht. Er käme niemals auf die Idee, dass ihre Kinderlosigkeit gewollt sein könnte. Ernst wendet er sich wieder der Frage der Türklinken zu.
Sandra durchschaut ihn. Sie hat den verdrucksten Ausdruck von Beileid in seinem Gesicht sehr wohl bemerkt, als das Fehlen von bambini vor einer Weile zur Sprache kam: Wenn Luigi bei ihr zu Hause anrief, nahm gelegentlich ein Mann ab, Mario, aber keine bambini . Luigi selber hat fünf und vermied es von Stund an, sie allzu oft zu erwähnen.
Letzte Woche hatte Sandra eine Abtreibung. Ihre zweite. Die erste liegt zwölf Jahre zurück, und sie hatte gedacht, das könne ihr kein zweites Mal passieren, aber offensichtlich konnte es doch. Sie musste einen ungeplanten Urlaub einschieben und nach London fliegen. Zweifellos gibt es auch in einem katholischen Land Mittel und Wege, aber sie hatte keine Zeit, lange zu recherchieren, und erledigte die Sache mit ein paar Anrufen, einer Flugbuchung und zwei unangenehmen Tagen in London, inkognito und in absoluter Isolation. Man kann schließlich keine alten Freunde anrufen und sagen: »Ich bin kurz für eine Abtreibung hier – wollen wir zusammen lunchen?«
Luigi wäre entsetzt. Mario ist so etwas wie ein abtrünniger Katholik, trotzdem war auch er nicht allzu glücklich darüber. Er und Sandra sind seit zwei Jahren zusammen; Sandra hatte von Anfang an klargestellt, dass sie keine Kinder will, und dem einige Jahre jüngeren Mario war das eine so recht wie das andere. Aber Sandras knappe Ankündigung weckte in ihm einen atavistischen Instinkt. Er protestierte ein paarmal, wenn auch nicht allzu überzeugt, und knickte dann vor Sandras ruhiger Entschlossenheit ein, vielleicht aber auch beim Gedanken, welche Folgen ein Baby für ihn selbst haben könnte. Mario ist Fotograf und liebt das gute Leben.
Sandra wechselt ihre Männer alle drei bis vier Jahre. Auf diese Bilanz ist sie nicht besonders stolz, aber so ist sie nun einmal veranlagt, was soll man da machen? Stets kommt der Moment, wenn er sie ein bisschen nervt, ein bisschen langweilt, wenn sie erkennt, dass die gemeinsame Zeit um ist. Dann muss ein Ablösungsprozess eingeleitet werden; Sandra bemüht sich um Schadensbegrenzung. Die Männer stellen fest, dass sie behutsam auf Distanz gehalten und nicht etwa fallen gelassen werden, und wenn sie realistisch sind, ziehen sie von selbst weiter. Da Sandra immer dafür sorgt, dass die gemeinsame Wohnung auf ihren Namen läuft, muss der Mann ausziehen und nicht sie. Einmal gab es nach der Trennung so viele Scherereien, dass Sandra selbst nach einer radikalen Veränderung suchte. In der Welt des Londoner Journalismus wurde es für sie und ihren Ex-Lover zu eng, und so kam sie vor ein paar Jahren nach Rom. Italien hatte ihr schon immer gefallen, ebenso der Gedanke an eine eigene Boutique. Also nichts wie hin.
Sandra hat meistens Erfolg, aus guten Gründen. Sie ist wendig und kann hart arbeiten; sie ist auch umgänglich, geschickt und nötigenfalls opportunistisch. Als sie jung war, machte sie im Modejournalismus Karriere, stieg wie eine Rakete vom Mädchen, das den Tee bringt, zur Texterin auf, dann zur Redakteurin. Aber sie ist auch ruhelos und findet ihre Jobs genau wie ihre Männer mit der Zeit ein wenig eintönig. Als der Reiz der Modemagazine verflogen war, wechselte sie zum Mainstream-Journalismus und deckte für eine auflagenstarke Tageszeitung das Thema Mode ab. Und jetzt hat sie diese
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