Familienalbum
Familie gehöre, hat sich wohl so ergeben. Allerdings gehöre ich mehr dazu, als Alison damals dachte.
Anfangs mochte ich ihn nicht besonders. Alison mochte ich schon. Mit ihr auszukommen ist sehr einfach, da gibt es keine Probleme – nun ja, sie redet ständig, aber man braucht nicht immer zuzuhören, und wir konnten sehr gut zusammenarbeiten. Arbeit gab es jede Menge, bei so vielen kleinen Kindern.
Viel Arbeit, aber das war gut so. Für mich war Allersmead, wie ein Zuhause sein sollte. Ich hatte nie so etwas gekannt – das große Haus, die Kinder, den Garten, den Hund und Essen, wie Alison es kocht.
Vielleicht stimmte es gar nicht, dass ich ihn nicht mochte. Ich wusste nur nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Manchmal drückt er sich so aus, dass ich ihn nicht verstehe; ich dachte, vielleicht will er witzig sein, dabei ist er es gar nicht. Man gewöhnt sich daran, das ist eben seine Art, dieser Sarkasmus, den braucht man nicht zu beachten. Ich war sehr jung. Es ist schwer, sich nachträglich in dieses Alter hineinzuversetzen – ich war damals eine andere Person. Jemand anderer. Ich glaube, auch er war jemand anderer.
Er hat mich angesehen. Ich merkte, dass er anfing, mich anzusehen. Ich hatte noch nicht viel mit Männern zu tun gehabt. Da war ein Junge gewesen, bevor ich nach Allersmead kam, aber nichts von Bedeutung.
Jetzt glaube ich, dass es Charles damals nicht gut ging. Manchmal hat er getrunken – ich habe die Flasche und das Glas auf seinem Schreibtisch stehen sehen. Alison war sehr mit den Kindern beschäftigt. Vielleicht ist es mit seiner Arbeit nicht so gut gelaufen.
Und er hat mich wohl auf einmal mit neuen Augen gesehen. Und ich habe ihn auch gesehen, als Mann.
Wir hatten nur kurze Zeit Sex miteinander, ein paar Wochen, glaube ich. Beim ersten Mal war ich überrascht; ich begriff kaum, was passiert war. Dann hat es mich belastet. Ihn auch – das weiß ich. Er war damals ein bisschen daneben, glaube ich. Und ich war jung und verwirrt; ich wusste, dass er so etwas nicht tun sollte und ich auch nicht, und dann sagte er, das muss aufhören, es tut ihm leid, er hat einen schweren Fehler gemacht, und wir müssen versuchen, es zu vergessen, und das haben wir dann wohl auch getan, aber dann kam Clare zur Welt.
Alison hat alles geregelt. Wo ich hingehen sollte, wie ich danach wieder zurückkommen sollte, was sie den Kindern sagen würden. Das ist eine Familie, hat sie immer gesagt, Clare muss in der Familie aufwachsen, das war das Einzige, was für sie zählte. So war das also, und die Kinder waren alle noch ziemlich klein, deshalb haben sie nicht viel gefragt, damals nicht und später auch nicht, aber ich glaube, sie haben es später irgendwie rausgekriegt und Clare auch. Es wäre nicht gut, mit ihr darüber zu reden, am besten lässt man alles, wie es ist. Vielleicht weiß sie es, ich glaube schon. Darüber zu reden, würde bedeuten, dass ich diese Zeit noch einmal aufrollen müsste, und das will ich nicht. Das Ganze ist jetzt vorbei, es war ein Fehler. Allerdings ist Clare daraus entstanden, und ein Mensch kann kein Fehler sein, das darf sie niemals denken.
Ich komme mit meinem Wissen klar, ohne darüber zu reden. Und mit meinen Gefühlen für Clare, und mit der ganzen Geschichte. Damals habe ich ihn deswegen ziemlich gehasst, dann wurde er langsam immer unwichtiger; Allersmead blieb, wie es immer war, und er gehörte eben dazu, wie ich, wie Clare. Aber was passiert ist, verschwindet nicht, und wenn ich mich ärgere, lasse ich manchmal eine Bemerkung los, vielleicht habe ich von ihm gelernt, sarkastisch zu sein. Jedenfalls bin ich ein Mensch, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn er etwas sagen will.
Ich weiß alles, was in dieser Familie los ist. Ich habe immer zugehört, hingesehen. Ich weiß Dinge, die kein anderer weiß, und so was gefällt mir. Ich sage, was ich will und wann ich es will, aber über manches schweige ich. Ich kenne alle Kinder von ganz klein auf. Paul kann nie bei der Sache bleiben, er wusste noch nie, was er wollte, so war er schon von Anfang an. Bei Gina wusste man schon immer, dass sie erreichen würde, was sie will, und sie wollte hoch hinaus. Sandra war wie die Models in den Zeitschriften, sogar in ihrer Schuluniform. Katie und Roger klebten immer zusammen, trotzdem hat Roger eigene Interessen verfolgt, er war immer fleißig in der Schule, Katie auch, sie hat nie Schwierigkeiten gemacht.
Clare war die Jüngste, das Baby, alle sind immer um sie herumgetanzt, sie war
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