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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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ihr dieses Leben einfach zustieß, oder ob sie es nicht schon als Fünfjährige mit ihrer ersten Puppe geplant hatte. Egal, das Ergebnis genügt. Meine Mutter – unsere Mutter – hatte den Ehrgeiz, die archetypische Mutter, den Urschoß, zu verkörpern.
    Sandra kann sich gerade noch erinnern, dass sie auf diesem Schoß gesessen ist. Sie kann sich erinnern, dass sie Gina heruntergeschubst hat. Sie liebte ihre Mutter, vielleicht liebt sie sie immer noch, aber sie findet es heute merkwürdig, dass dieses eine Wort eine solche Bandbreite von Gefühlen abdeckt. Die Liebe zu den Eltern hat nicht das Geringste mit der Liebe, sagen wir mal, zu Schokolade oder zum Nacktbaden gemein, und schon gar nichts – absolut überhaupt nichts – mit der Liebe zum anderen Geschlecht.
    Dabei ist diese Liebe nicht mit der Liebe zum Sex zu verwechseln. Ob ich, Sandra, Sex liebe? Ganz sicher genieße ich ihn, aber nicht abstrakt, nicht um seiner selbst willen, es braucht den richtigen Partner dazu, Sex ist ein Austausch, der zwei Menschen umfasst. Und hier kommt der Aspekt der Liebe hinzu. Die Gefühle, die man für den anderen hat, entscheiden über die Qualität des Sex. Sie erinnert sich an den Jungen in Crackington Haven. Das erste Mal.
    So ein Schlag ins Wasser. Diese Enttäuschung. Der erste Höhepunkt des Lebens, wurde einem weisgemacht, und was war? Ein paar Minuten verlegenes Stochern und Stöhnen. Höhepunkt? Vergiss es. Aber natürlich hatte Sandra nichts für den Jungen empfunden – mochte ihn vermutlich ganz gern, aber die Liebe war noch lange nicht in Sicht. Wenn einen die Liebe überfällt und wieder verlässt, wenn das zum ersten Mal passiert, ist man im Erwachsenenleben angekommen, oje, und wie. Und man merkt, dass diese Liebe etwas ganz anderes ist als alles, was man bisher für einen Menschen empfunden hat. Die Vorsilbe macht es ein bisschen klarer: Man ist ver liebt. Man ist nicht so sehr damit beschäftigt, jemanden zu lieben, sondern wird von dem Gefühl verzehrt, säuft darin ab, kann kaum lange genug hochtauchen, um normal zu funktionieren. Das muss man später nicht unbedingt noch mal haben.
    Sandra verliebt sich immer noch, aber der Vorgang läuft heute gemäßigter, reflektierter ab als die wilden Attacken der Jugend, und sie wäre in der Lage, zurückzurudern, falls sich herausstellt, dass es so gar nicht passt. Aber immer noch fordert sie von jedem neuen Mann, dass er etwas von dem alten Fieber in ihr weckt; täte er das nicht, wäre die Beziehung nichts als ein sexueller Tauschhandel, was sie geschmacklos findet. Ist sie vielleicht eine Romantikerin?
    Romantikerin hin oder her, Monogamie ist für Sandra schwer nachvollziehbar. Nur eine einzige Beziehung, bis dass der Tod uns scheidet?
    Allersmead schon wieder. Schau sie doch an, Mum und Dad. Da kann von Romanze nicht die Rede sein, oder? Von Liebe? Aber wer weiß das schon, wer hat auch nur einen Funken Ahnung? Andere Menschen sind unergründlich. Vor allem die, die man am besten kennt.
    Aber sich an einen Einzigen binden? Bei dieser ganzen Vielfalt von Männern, so spannend in ihrer Verschiedenheit?
    Sandra hat monogame Freunde und Bekannte, die keineswegs im Dauerfrust zu leben scheinen. Sandra kann sich durchaus vorstellen, dass sie diejenige ist, mit der etwas nicht ganz stimmt, aber das belastet sie nicht weiter. Sie hat sich sozusagen für ein Leben mit serieller Partnerschaft entschieden und findet es sehr angenehm. Es ist ihr sogar gelungen, mit ihren Verflossenen auf freundschaftlichem Fuß zu verbleiben, außer mit diesem Londoner Journalisten, der äußerst pikiert war, als der Vorhang fiel.
    Sie denkt mit einer gewissen Gleichgültigkeit an ihn, als sie nach ihrer Besprechung mit Luigi die Baustelle verlässt. Sie hat am Kiosk eine englische Zeitschrift gekauft und seinen Namen unter einem Artikel gesehen. Bei dem Typen ändert sich auch nichts mehr: dieselbe Zeitung, dieselben Inhalte. Er schreibt Kommentare im Politikressort, und Sandra ist die Erste, die der Politik zubilligt, als Gegenstand ungleich fesselnder zu sein als die Mode, aber hier wie dort weht der Wind der Veränderung, über den man keine Macht hat, und genau diese Seite des Journalismus hatte Sandra schließlich satt, den Zwang, stets auf unerbittliche Sachverhalte reagieren zu müssen. Irgendwann wird es zur Knochenarbeit, sich über alles, was in jeder neuen Saison über den Laufsteg tänzelt, Jubelarien aus den Fingern zu saugen.
    Der Politikkommentator war auf das Thema Ehe

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