Familienalbum
wie die Frau auf der Straße dieses oder nächstes Jahr aussehen wird. Allein die Macht dieses Einflusses ist bemerkenswert – dass eine Idee, ein Konzept, ein Entwurf aufblühen und weltweit seine Ausläufer sprießen lassen, den Inhalt von Millionen Kleiderschränken bestimmen kann. Das ganze System, wie Mode funktioniert, ist eindrucksvoll – wie ein Haute-Couture-Kleidungsstück mit einem Preis, der nur für Plutokraten erschwinglich ist, eine Weile später in abgewandelter, massentauglicher Form wieder erscheint. Mode sickert nach unten, bis sie jeden Einzelnen erfasst. Was für ein schlauer Trick, und so wunderbar eingefädelt, dass viele Leute viel Geld daraus schlagen können.
Genau das ist das Problem – die Leute. Die Konsumentinnen der vordersten Front wie die Kundinnen von Sandras Boutique, die salatblattgenährten Zicken, die nichts im Kopf haben als die Befriedigung ihrer eigenen, selbstverliebten Wünsche, die überkandidelte Armee derjenigen, die das Gewünschte herbeischaffen, das Einsatzkommando der Designer, der Direktricen, der PR -Mädchen, der Einkäuferinnen, allesamt benommen vom Glanz und Gewicht ihrer Sendung.
Leute wie Sandra? Sie gäbe bereitwillig zu, dass sie früher, beim ersten Eintauchen in die berauschende Zeitschriftenwelt, vielleicht auch so war; da sank sie in die Knie vor den spröden, überheblichen Fregatten der Branche und allen, die um sie herumscharwenzelten: den aalglatten Fotografen, den entflammten jungen Assistentinnen. Sandra hat ihre Illusionen längst verloren; man konnte das Theater ruhig mitmachen, solange man selbst auf dem Boden blieb und das Ganze als aberwitzigen Zirkus betrachtete, der vor einem Idiotenpublikum seine Mätzchen machte. Die Kleider konnten ja durchaus traumhaft sein, der Fall eines Rocks, der elegante Dünkel eines Besatzes. Und irgendwie musste man seine Kohle ja verdienen.
Aber heute verlieren sogar die Kleider etwas von ihrem Zauber. Noch immer liebt Sandra (liebt – ach, dieses strapazierte Wort) – genießt Sandra das herrliche Gefühl von Seide unter den Fingern, erfreut sich an einer neuen, unbekannten Webart, einem raffinierten Schnitt oder einem provokanten Entwurf. Die Faszination ist noch da, wenn auch etwas verwässert, aber immer öfter hat Sandra das Gefühl eines Déjà-vu, die Modeschauen sind zum Gähnen, die ganze Entourage nervt immer stärker. Luigis Gesellschaft ist ihr lieber, Marmorbäder beflügeln sie mehr.
Nun ja – für den Absprung ist es nie zu spät. Wenn ihr aktuelles Projekt ein Erfolg wird und sich gut verkauft, und das nächste auch, dann wird sie sich vielleicht von der Boutique verabschieden und ganz den Marmorbädern zuwenden. Vielleicht kehrt sie dann wieder nach Hause zurück, nach England – wie man hört, lässt sich auf dem Immobilienmarkt gut verdienen, und sie hat Rom immer nur als Episode betrachtet.
Sandra verlässt sich auf ihren Spürsinn. Wenn es fad wird in der Liebe oder in der Arbeit, streckt sie die Nase in den Wind und bricht auf. Zwanzig Jahre Modebranche sind vielleicht genug. Die entschlossene Achtzehnjährige, die dort die Tür aufstemmte, war eine andere als die heutige Sandra, die bereit für eine Veränderung ist. Sie erinnert sich, wie ihr Vater die Nase rümpfte, als sie verkündete, sie habe einen Job bei dieser Zeitschrift und werde ausziehen.
»Eine Mode zeitschrift?«, ruft Alison. »Ach du meine Güte, aber wenn es ist, was du dir wünschst … Warum willst du denn nicht studieren wie Gina?«
Weil, denkt Sandra, sagt es aber nicht, weil ein Studium drei Jahre dauert und ich nicht so viel Zeit habe. Und weil Gina es macht, also mache ich es nicht.
Charles sagt nichts. Er blickt sie nur an, und das genügt.
Dad hat sich in seinem Leben noch keine Zeitschrift angesehen, ob nun die Vogue, Country Life oder Yachting News . Das heißt, sein Blick mag wohl darauf gefallen sein, im Zeitungsladen oder so, aber er hat sie nicht wahrgenommen, weil er sich nicht dafür interessiert. Dad ignorierte Fernsehserien, Rockmusik (sofern sie nicht aus Pauls Zimmer dröhnte), unsere Klamotten, unsere Freunde und den größten Teil dessen, worüber wir uns unterhalten haben. So verhielt er sich in Allersmead, aber das war erst der Anfang. Außerhalb von Allersmead bemerkte er nichts von der Existenz von Fußballtabellen, Bingohallen, Pferderennen, Angelsport – von allem, was seine Interessen nicht berührte. Und die waren? Seine Bücher natürlich – was immer er gerade schrieb. So
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