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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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ohnehin zu viel geworden, zusätzlich zu dem Anfängerkochkurs am Dienstagnachmittag und dem für Fortgeschrittene am Donnerstag. Anfangs hatte sich Alison vorgestellt, dass zumindest der Grundkurs junge Bräute ansprechen würde, und hatte sich auf sanftmütige Mädchen mit leuchtenden Augen gefreut. Aber an beiden Kursen nehmen überwiegend ältere Frauen teil, viele davon sogar in Alisons Alter, und sie zeichnen sich weder durch Sanftmut aus noch durch leuchtende Augen. Alison hatte sogar einen neuen Herd angeschafft, noch größer als der alte, der ihr bei so vielen Familienmahlzeiten treu gedient hatte; dennoch rümpften die Teilnehmerinnen über die allersmeadsche Küche unverhohlen die Nase – und rümpfen sie immer noch –, die Reaktionen reichen von Belustigung bis hin zu verächtlichem Spott. Alison hatte nicht geahnt, dass ihre Küche so ungewöhnlich war; sie fand immer nur andere Küchen komisch, die so klein waren und blitzblank. Um Freundlichkeit Bemühte sagen: »Wie hübsch und altmodisch – meine Mutter hatte auch so eine Anrichte.« Andere tun sich weniger Zwang an. Alison schnappte einmal ein Gemurmel über das Potenzial dieses Haus auf, wäre es in den richtigen Händen, und hörte aus der Eingangshalle, wie eine Frau beim Anziehen ihres Mantels sagte: »Du lieber Gott, diese Küche … aber sie ist eine fantastische Köchin, das muss man ihr lassen.«
    Und dies begründete ihre Autorität. Wer angesichts Allersmeads sehr individueller Atmosphäre und Alisons mangelndem Chic zu Beginn skeptisch war (»Wo kriegt sie bloß diese Säcke her, in die sie sich hüllt?«), änderte den Ton, sobald Alison ihre Fähigkeiten demonstrierte. Ein beiläufiges Interesse wuchs sich bei den Teilnehmerinnen rasch zu heftigem Ehrgeiz aus: Auch sie könnten diese eleganten Gerichte produzieren, ihre Freundinnen beeindrucken, ihre Männer verblüffen. Frauen, die nur so zum Spaß gekommen waren, verwandelten sich bald in die glühendsten Fans und arbeiteten sich vom Grundkurs zu den Fortgeschrittenen, von simplen Salatideen zu italienischer, arabischer und thailändischer Küche hoch. Alison ist als Kochkünstlerin eine echte Überraschung, entdecken sie; ihr Haus schreit vielleicht nach Generalsanierung, sie kleidet sich wie das Heimchen am Herd, aber im Kochen ist sie einfach top. Sie hat von allen Starköchen gelernt und übertrumpft sie mit eigenen Kniffen und Verfeinerungen – sie würzt raffinierter als Claudia Roden, sticht Nigella Lawson aus, veredelt Jamie Olivier und hat Elizabeth David neu entdeckt und nachempfunden. Die Teilnehmerinnen ihrer Kurse, Frauen, die sich selbst den einen oder anderen Trick zugutehalten, verstummen vor kulinarischen Höchstleistungen einer anderen Liga. Sie beobachten Alison beim Hacken, Aufschäumen, Rühren. Sie bestaunen, was aus ihrem Ofen herauskommt. Sie unterwerfen sich kleinlaut und ehrfürchtig ihren Anweisungen, schnippeln und rühren einträchtig in der allersmeadschen Küche und buhlen um Aufmerksamkeit: »Alison, ist das sämig genug?«; »Alison, warum krieg ich meinen Teig nicht so hin wie Sie den Ihren?« Alison, eine Meisterin ihres Fachs, ist ganz in ihrem Element und hebt in schwindelerregende Höhen ab. Die Frauen erkennen, dass sie Alisons Finesse nie erreichen werden, dass Alison eine Art kulinarischen sechsten Sinn besitzt, der ihnen verschlossen bleibt, aber sie merken auch, dass etwas davon auf sie abfärbt, dass auch sie mehr aus ihrer Küche machen können. Kochen ist heute absolut angesagt und die Investition von ein paar Scheinen und Nachmittagen mehr als lohnend.
    Die Kochkurse verschaffen Alison Selbstbestätigung und ein eigenes kleines Einkommen. Durch sie hat Alison jetzt, wo ihre Kinder nicht mehr da sind, einen neuen Status erworben, dazu Geld, das sie nach ihren Wünschen ausgeben kann. Sie hatte nie das Gefühl gehabt, knapp bei Kasse zu sein; Charles hat die Verwaltung der Haushaltsfinanzen immer ihr überlassen und nie nach Abrechnungen gefragt. Es hat immer gerade so gereicht, wenn man mit den Ausgaben vorsichtig war, allerdings scheinen die Dividenden, die auf dem Konto eingehen, in letzter Zeit aus unerfindlichen Gründen immer weniger zu werden. In Allersmead hatte man nie große Ansprüche gehabt, dennoch war das bisschen Geld zum Ausgeben, das die Kochkurse einbrachten, eine Quelle der Befriedigung. Im Lauf der Jahre hat Alison sich selbst – und Allersmead – das Neueste an Mixern und Mikrowellengeräten spendiert; sie hat

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