Familienaufstellungen
familientherapeutischer Erfahrungen. Wesentliche Erkenntnisse aus der Familienforschung fließen in die Arbeit mit ein. Um Ihnen das Verständnisfür Familienaufstellungen zu erleichtern, werden hier zunächst zentrale Themen vorgestellt.
Unlösbare Bindungen – das Genogramm
Flexibilität ist zu einem Kennzeichen unserer Zeit geworden. Wer auf dem Arbeitsmarkt bestehen möchte, muss über diese Eigenschaft verfügen. Wer eine erfolgreiche Karriere plant, rechnet bereits mit mehreren Stellenwechseln, die Umzüge und damit auch Veränderungen im Freundeskreis mit sich bringen. Die Forderung nach derartiger Flexibilität führt zu hohen emotionalen Anforderungen im Privatleben. Der Lebenspartner bzw. die junge Familie muss dann ebenfalls umziehen oder getrennte Wohnorte aushalten. Viele Partnerschaften zerbrechen an der getrennten Lebensführung, und Freundschaften bleiben mangels kontinuierlicher Kontakte auf der Strecke.
Doch lassen sich auch familiäre Bindungen durch Kontaktabbruch genauso flexibel lösen? Was mit Wohnungen, Arbeitsplätzen, sogar mit Freunden noch funktioniert, findet bei der Familie seine Grenzen.
Familiäre Beziehungen lassen sich weder aussuchen noch jemals beenden.
Ihre Eltern, Geschwister, Großeltern, Kinder können Sie nicht frei auswählen, austauschen oder ihnen gegebenenfalls kündigen. Auch wenn Sie den Kontakt zu einem Familienmitglied abbrechen – er oder sie bleibt dennoch Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Bruder, Schwester, Großmutter oder Großvater. Dadurch lösen sich diese Beziehungen nicht auf. Ganz im Gegenteil! Je mehr sich eine Person aus den familiären Bindungen herauslöst, desto intensiver versuchen andere Familienmitglieder, diesen Angehörigen wieder hereinzuholen. In der psychotherapeutischen Praxis erleben wir häufig folgendes Phänomen: Wenn sich ein Vater bereits vor der Geburt seines Sohnes von diesem verabschiedet, führt das häufig zu einer Irritation im Liebesleben des Sohnes. Er geht immer wieder neue Partnerschaften ein, die er, sobald es ernst wird, fluchtartig verlässt. Er ahmt seinenVater nach, ohne ihn je gesehen zu haben. Auf einer tiefen emotionalen Ebene ist er auf der Suche nach seinem Vater und, so könnte man es interpretieren, holt mit seinem Flucht-Verhalten seinen Vater wieder ins Familiensystem hinein.
Bestimmt kennen Sie auch das Phänomen, dass Menschen, die ihre Eltern ablehnen, genau deren verhasste Eigenschaften früher oder später selbst entwickeln. Hass und Ablehnung binden, Achtung und Liebe aber machen den Weg frei für eigene Entscheidungen. »Nicht so werden wollen wie …« funktioniert nicht. Unser Unbewusstes versteht keine Verneinung – schon gar nicht gegenüber den Menschen, die uns geprägt haben. Die Familie ist mit einem Baum vergleichbar, dessen Wurzeln unsere Eltern und Vorfahren, dessen Früchte unsere Kinder sind. Lehnen wir unsere Wurzeln ab, nehmen wir uns viel Lebenskraft. Richten wir unseren Blick permanent auf deren Verwachsungen, Verbiegungen, Verkümmerungen, spüren wir vorrangig einen Mangel an Nährstoffen. Wir können aber auch betrachten, was diese Wurzeln uns für unser Wachstum gegeben haben. Trotz allem, was unsere Entwicklung auch behindert haben mag, wuchs durch diese Wurzeln doch unser Leben. Die Frage ist, ob nicht noch mancher Nährstoff zu finden ist, den wir bisher nicht bemerkt haben.
▶▶ Beispiel aus einer Familienaufstellung: Cornelia fühlt sich in ihrer Ehe zunehmend unglücklich. Sie empfindet keine sexuelle Lust mehr, seitdem ihr erstes Kind geboren worden ist. Nach ihrer eigenen Mutter befragt, verzieht sie ihr Gesicht. Mit Scham und Verachtung in der Stimme erzählt sie, dass sie wenig Kontakt zu »dieser Frau« habe. Sie sei bei ihrer Tante aufgewachsen, währenddessen ihre Mutter wechselnde Partnerschaften hatte. Von Verwandten und Nachbarn wurde ihre Mutter als »Flittchen« abgehakt.
In der Familienaufstellung lernt Cornelia neue Seiten an ihrer Mutter kennen: Nachdem sie alle Stellvertreter aufgestellt hat, fragt sie das Double der Mutter zuerst nach ihrem Empfinden. Die Stellvertreterin, die zunächst
recht ruhig dagestanden ist, blüht auf, als sie das Interesse an ihrer Person spürt. Sie strahlt und sprudelt nur so vor Lust und Lebensfreude. Erst als sie die massive Abwertung der anderen Familienmitglieder hört und den Schmerz ihrer Tochter hinter ihrem Rücken wahrnimmt, steigen Trauer, Bitterkeit und Abwehr in ihr hoch. Als Cornelia die unverbogene, lustvolle
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